Amerikanische Luftschläge im Irak lösen die grundsätzlichen Probleme des Landes nicht

Schon im Jahr 2003 erklärte der damalige US-Präsident George W. Bush die US-Mission im Irak für erfüllt. Sein Nachfolger Barack Obama behauptete dasselbe vor gut zwei Jahren, um den Abzug der amerikanischen Kampftruppen zu begründen. Beides war Wunschdenken. Der Irak ist zerrissener denn je, von einer staatlichen Ordnung und von Frieden weit entfernt. Amerika sieht sich gezwungen, erneut militärisch einzugreifen. Die Ziele sind begrenzt: Luftschläge, um die vorrückenden Islamisten der IS zu stoppen; Hilfslieferungen an Flüchtlinge; auf keinen Fall der erneute Einsatz von Bodentruppen.

Mit begrenzten Luftschlägen oder der Entsendung hat schon mancher langwierige Waffengang begonnen – wer wüsste das besser als die Amerikaner. Und die akute Krise des Irak lässt sich vielleicht mit militärischen Mitteln lindern. Die grundsätzlichen Probleme dieses Staates und der ganzen Region liegen aber viel weiter zurück und bedürfen einer tief greifenden politischen Lösung.

Spätestens seit der Zerschlagung des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg ist der Westen – sind namentlich die damaligen Siegermächte USA, Großbritannien und Frankreich – in das Geschehen verstrickt. Mit dem Vertrag von Sèvres – quasi das orientalische Gegenstück zum Versailler Vertrag für Deutschland – wurden die Konflikte für Generationen angelegt. Weder bekamen die Araber ihren von den Briten versprochenen Einheitsstaat noch die Kurden ein Heimatland. Stattdessen entstand unter anderem das Kunstgebilde Irak mit seinen verschiedenen Religions- und Volksgruppen – und durch ebenso willkürliche Grenzziehungen die anderen Nahost-Staaten.

Das alles hatte auch damals schon mit den Erdölvorkommen der Region und den geopolitischen Interessen der Großmächte zu tun. Diese wiederum nutzten zur Herrschaftssicherung gern die alte arabische Sitte, nach der ein Feind meines Feindes ein Freund ist. Im günstigsten Fall kamen durch diese Methode Tyrannen vom Schlage eines Saddam Hussein im Irak oder der Familie Assad in Syrien an die Macht, die zwar für eine gewisse Stabilität sorgten. Der Preis, den ihre eigene Bevölkerung zu zahlen hatte, war aber schon immer hoch, und für den Rest der Welt werden Tyrannen über kurz oder lang immer gefährlich, weil sie unberechenbar sind.

Doch für die Zeit nach Saddam Hussein hat der Westen kein solides Konzept für eine bessere Zukunft der Region in der Tasche gehabt. Der Glaube der Bush-Administration, nach dem Sturz des Tyrannen werde sich das Volk begeistert der Demokratie zuwenden, hat sich als naive Illusion erwiesen. Schlimmer noch: Die Amerikaner selbst haben immer wieder wie im Falle der Mudschaheddin und der Taliban in Afghanistan auf fragwürdige Kräfte gesetzt, um ihre Interessen durchzusetzen. Und die Mächtigen vor Ort haben sich ein ums andere Mal als unfähig erwiesen, ehemalige Gegner oder Minderheiten in den Staat einzubinden. Das gilt für Hamid Karsai in Afghanistan – und in noch viel stärkerem Maße für Nuri al-Maliki im Irak. Der hat Saddams sunnitische Diktatur quasi in eine schiitische verwandelt und damit das Land an den Rand des Zerfalls manövriert.

Dank seiner Herrschaft ist es möglich geworden, dass ein paar Tausend islamistische Fanatiker weite Teile des Landes ohne größere Gegenwehr der Armee überrennen konnten, dass sich Kurden selbst verteidigen müssen und anderen Minderheiten nur die Flucht in die Berge bleibt, um überleben zu können. Ein paar amerikanische Bomben können im Moment vielleicht das Schlimmste verhindern. Eine gedeihlicher Zukunft für den Irak garantieren sie nicht. Es wird höchste Zeit für einen grundsätzlichen politischen Neuanfang in der Region. Oder es bleibt bei immer neuen begrenzten Einsätzen.