Die Satireseite „Der Postillon“ begeistert im Internet mit munteren Meldungen – skurriler ist manchmal nur die Wirklichkeit

Man muss offenbar nur eine präparierte Wetter-App auf seinem Rechner haben, bei deren Anklicken sich ein Krypto-Programm öffnet, und schon bekommen eingeweihte „Freunde“ Einblick in Termine, Tagesordnungen und Wortbeiträge eines Untersuchungsausschusses ... Das ist, kurz gefasst, das wichtigste Indiz gegen diesen Doppelagenten, der sich jahrelang in der Abteilung EA des Bundesnachrichtendienstes herumdrückte. Und nur aufflog, weil er sich auch noch dem russischen Geheimdienst andienen wollte. Ach, ist das wieder peinlich.

Kein Wunder, dass die Regierung jetzt die Einrichtung eines NSA-Untersuchungsausschussspionageuntersuchungsausschusses plant. Wurde auch höchste Zeit! Wer dazugehören soll, sei noch nicht geklärt. Zunächst mal solle jedes einzelne Mitglied des bisherigen Ausschusses von Christian Ströbele persönlich befragt werden, „wahlweise per Satellitenübertragung oder Skype“.

Okay, Sie ahnen es schon: Das ist natürlich ein Scherz, mit dem das Satiremagazin „Der Postillon“ mein patriotisches Herz erfreute. Täglich veralbert die muntere Onlinezeitung Nachrichten aus Politik, Sport, Wirtschaft und Weltgeschehen, kommentiert die unglaublichsten Kontroversen, bringt noch unglaublichere Um- und Sonntagsfragen. Und sonnabends stellt „der Chefredakteur persönlich“ ausgewählte Fundstücke aus dem Internet vor, zum Beispiel Probleme, die jeder schon mal hatte (Bauchnabel stinkt – was tun? Oder: Grillfleisch schneiden ohne Messer).

Der Chefredakteur, das ist Stefan Sichermann, der die Seite 2008 gründete und dabei nach eigenem Bekunden von der US-Satirezeitung „The Onion“ inspiriert wurde. Inzwischen stützt sich die Kleinstredaktion im bayerischen Fürth auf zahlreiche freie Ideenspender. Die Bayern sind ja von der CSU satireverwöhnt. Allein im März 2014 wurden die Beiträge des „Postillon“ fast 700.000-mal geteilt. Damit erreicht er mittlerweile eine höhere Social-Media-Reichweite als die Nachrichtenportale von „Focus“, „Süddeutsche“ oder „FAZ“.

Auch norddeutsche Phänomene würdigt der „Postillon“, ganz neu: „Baukräne der Elbphilharmonie werden unter Denkmalschutz gestellt.“ Die beiden roten Kräne aus dem späten 20. Jahrhundert seien inzwischen für viele Hamburger nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken, sodass ein Abbau nicht mehr infrage komme... Darauf hätte eigentlich ein Hamburger kommen müssen. Komisch, dieses hanseatische Faible für Kräne: 100.000 Euro hätten die Kräne des Amerikaners Jeff Koons gekostet, die Ex-Bausenator Mettbach 2003 mit untrüglichem Gespür für Kitsch auf den Spielbudenplatz stellen wollte. Aber gegen die Elphi-Kräne waren das ja Peanuts.

Sehr gelungen finde ich auch eine „Postillon“-Meldung aus Luxemburg: „EuGH-Urteil: Spanien muss vakante Königsstelle EU-weit ausschreiben.“ Felipe (für die Leser/innen vom „Goldenen Blatt“: das ist der Ehemann von Letizia) könnte nachrücken, muss aber nicht. Wirklich elektrisierend ist in diesen Tagen aber wohl der Knaller aus Campo Bahia: „Vier deutsche Spieler beim Einüben von neuer Freistoßvariante schwer verletzt!“ Laut „Postillon“ war das „eine völlig neue und komplizierte Freistoßvariante mit zwei gestellten Stürzen und einem falschen Kopfstoß, bei der insgesamt sieben Spieler – darunter Manuel Neuer – über den Ball und ihre am Boden liegenden Kollegen laufen“.

Der „Postillon“ erhielt 2013 einen Grimme-Online-Preis, ab April zeigte das NDR-Fernsehen einmal pro Woche die „Postillon24“-Nachrichten, ab Oktober soll das Format sogar im Ersten zu sehen sein. Vielleicht tagt dann ja schon der NSA-Untersuchungsausschussspionageuntersuchungssausschuss.

Zwar hat Bundespräsident Gauck wegen der ständigen NSA-Späherei auf den Tisch gehauen – „Jetzt reicht’s auch einmal“ –, der Außenminister äußerte Unmut – „wir reden hier nicht über Kleinigkeiten“ –, der Innenminister mahnt, die Kanzlerin ist „verschnupft“. Aber ist seit Merkels Handy nicht längst klar geworden, dass Berlin es wieder bei folgenloser Aufwallung belassen wird? Das ist ja die eigentliche Realsatire – ganz ohne „Postillon“.

Irene Jung schreibt jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag