Unterstützt die Regierung Erdogan aktiv die radikalislamische Terrorgruppe Isis, die in Syrien und im Irak auf dem Vormarsch ist?

Das Grabmal von Süleyman Shah liegt auf einer kleinen Halbinsel in Nordsyrien. Laut Artikel 9 des Ankara-Vertrages von 1921 zwischen der Türkei und Frankreich ist dieses Gebiet, 25 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, jedoch Territorium der Türkei. Süleyman Shah war der Großvater von Osman I., der das mächtige Osmanische Reich gründete. Türkische Soldaten bewachen diese Ehrenstätte.

Beim Vormarsch der Terrorgruppe Isis in Syrien wurde das Grabmal von Isis-Kämpfern umzingelt. Sie forderten am 20. März ultimativ den Abzug der türkischen Soldaten. Kurz darauf kursierte auf YouTube ein Aufsehen erregender Tonbandmitschnitt eines Geheimtreffens zwischen dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu, Staatssekretär Feridun Sinirlioglu, Vize-Generalsstabschef Yasar Güler und Geheimdienstchef Hakan Fidan. Dem Mitschnitt nach wurde die Option diskutiert, einen Scheinangriff von syrischem Gebiet auf die Türkei zu inszenieren, um die Türkei – und damit die Nato – in den syrischen Bürgerkrieg hineinziehen zu können. Der Vorfall wurde zur Belastung für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan; er ist überdies ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Türkei außenpolitisch heillos verheddert hat.

Nun könnte die Geiselnahme von 80 türkischen Staatsbürgern durch die Isis in Mossul als weiterer Beweis dafür herhalten, dass die Türkei und Isis Feinde sind. Aber offenbar verhält es sich nicht so eindeutig. Es gibt ernst zu nehmende Stimmen, die behaupten, die Türkei habe die Isis-Kämpfer geduldet oder sogar aktiv unterstützt. Die „New York Times“ schrieb, nachdem die Türkei die Grenze zu Syrien für die Isis-Rebellen offengehalten habe, müsse Ankara nun einen hohen Preis dafür zahlen. Erdogans „Null-Problem-Politik“ in der Region ist in Auflösung begriffen. Das US-Blatt zitierte Soli Ozel, Professor für internationale Beziehungen in Istanbul. Er sagt, der Fall von Mossul sei „der Inbegriff des Scheiterns der türkischen Außenpolitik der vergangenen vier Jahre“. Der türkische Kurs gegenüber Syrien sei „unrealistisch, überheblich, ideologisch und starrsinnig“ gewesen. Die Regierung Erdogan wird beschuldigt, den Aufstieg von Isis erleichtert zu haben. Als Motiv dafür gilt die ursprünglich türkische Überlegung, Isis könne das verhasste Assad-Regime in Damaskus stürzen helfen und nebenbei auch die Kurden in Schach halten, die im Nordirak de facto einen eigenen Staat errichtet haben. Die türkische Armee hat jahrzehntelang einen blutigen Krieg gegen kurdische Separatisten geführt. Außenminister Davutoglu verwahrte sich aber vehement gegen den Vorwurf, die Türkei unterstütze Isis.

Doch Salih Muslim, stellvertretender Chef der größten syrischen Kurdenpartei PYD, sagte gegenüber dem in Washington beheimateten Nachrichtenportal „Al-Monitor“, Isis selber gebe an, aktive Unterstützung von der Türkei zu erhalten, wenn nicht von der Regierung, so doch vom „tiefen Staat“, dem berüchtigten Geflecht aus Politik, Geheimdiensten und Militär. Der konservative US-Sender FoxNews zitierte den prominenten türkischen Journalisten Orhan Kemal Cengiz mit der Aussage: „Die Unterstützung der Türkei war lebenswichtig für die Dschihadisten, um hin und her über die Grenze nach Syrien zu wechseln.“ Nach Angaben von FoxNews hat ein türkischer Oppositionspolitiker erklärt, die türkische Armee trainiere Isis-Rebellen. Die Türken hätten der Isis den Hauptanteil an Logistik, Training, Waffen und Finanzen geliefert.

In der islamischen Onlinezeitung „todayszaman“ schrieb Orhan Kemal Cengiz, im staatlichen türkischen Hospital Hatay werde offenbar Mazen Ebu Mohammed, ein hoher Isis-Kommandeur, der im syrischen Idlib verwundet worden sei, gepflegt. Zugleich kursierte ein Foto des Isis-Kämpfers im Krankenbett. Die größte türkische Oppositionspartei CHP warf der Regierung Erdogan vor, sie kooperiere aktiv mit Isis. Entweder spielt die Türkei ein gefährliches Doppelspiel, oder sie ist ein Zauberlehrling, der die bösen Geister, die er einst rief, nun nicht mehr loswird.