Das Zinstief setzt wohltätige Organisationen unter Druck – die Finanzminister profitieren. Am Mittwoch findet Europas größter Stiftungskongress in Hamburg statt.

„Die meisten Stiftungen reicher Leute sind der Ausdruck tätiger Reue“, spottete einst der amerikanische Nobelpreisträger Sinclair Lewis. Demnach muss die Reue deutschlandweit derzeit besonders groß sein. Bei ihrem Stiftungstag, der heute in Hamburg beginnt, trifft sich die Branche zu ihrem bisher größten Treffen. 2000 Kongressteilnehmer werden erwartet, Bundespräsident Joachim Gauck spricht als Ehrengast. Stiftungen sind en vogue, Stifter stehen im gesellschaftlichen Rampenlicht, und fast täglich werden neue Organisationen gegründet. Über 20.000 sind es schon.

Dank einer vereinfachten Gesetzgebung und einer Generation, die sich vermehrt Gedanken über die sinnvolle Verwendung ihrer Vermögen macht, boomen Stiftungen. In Hamburg, der Hauptstadt der Stifter, wird die Bandbreite ihrer Arbeit deutlich: Von der Stiftung Binnenalster, die für die Alsterfontäne und den Weihnachtsbaum sammelt, über die Carl-Toepfer-Stiftung, die einst die Peterstraße wiederaufgebaut hat, bis hin zur Alexander- Otto-Sportstiftung oder der Joachim- Herz-Stiftung für Bildung wird das vielfältige Wirken für Stadt und Gesellschaft deutlich.

In einer Zeit, in der Staat, Länder und Kommunen angesichts wachsender Haushaltslöcher und der absehbaren Schuldenbremse sich aus sozialen und kulturellen Projekten zurückziehen, werden Stiftungen noch wichtiger. Sie springen ein, wenn der Staat aussteigt. Sie stützen Kultur, Sport und Zusammenleben vor Ort. Ja, sie erneuern den Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält.

Doch leider hat dieser Stiftertag nicht viel Grund zum Feiern. Denn hinter den Erfolgszahlen braut sich Unheil zusammen. Viele Stiftungen leiden unter der finanziellen Ausnahmesituation, die sich immer weiter zu einem Skandal auswächst: das Zinstief. Versteckt in den Wirtschaftsnachrichten beklagen Volkswirte oder Vermögensverwalter die deutlich zu niedrigen Zinsen gerade in der Bundesrepublik. Zu einem wirklichen Aufreger aber scheint das Thema nicht zu taugen. Warum eigentlich?

Denn die Folgen sind dramatisch. Wer derzeit Geld anlegt, verliert. Schon seit Längerem gelingt es mit kurz- bis mittelfristigen Anlagen kaum mehr, sein Vermögen zu erhalten. Die Renditen der Bundesanleihen liegen unterhalb der Inflationsrate: Die großen Gewinner dieser Entwicklung sind die Staaten und Finanzminister, die sich so günstig verschulden können wie nie zuvor und sich quasi im Schlaf entschulden. Die großen Verlierer sind die Sparer, die Lebensversicherungen – und eben die Stiftungen.

Gerade sie leben von der Rendite ihrer Vermögen – und damit oft von Kapitalmarkt-Zinsen. Die Finanzmittel, die sie für ihre Arbeit benötigen, schrumpfen immer mehr. Große Stiftungen, die ihre Anlagen streuen, profitieren noch von den hohen Börsenkursen. Doch der Kurssturz nach dem Jahr 2000 hat gezeigt, wie gefährlich dieses Investment für Stiftungen werden kann. Kleinere Institutionen klagen schon heute über den Anlagenotstand. Zusätzliche Brisanz liegt in der Gesetzgebung: Wenn das Geld fehlt, gerät mittelfristig der Stiftungszweck in Gefahr und damit die Gemeinnützigkeit. Dieses Problem wächst mit jedem Monat, den die Zinsen niedrig bleiben.

Wenig spricht dafür, dass sich an der Niedrigzinspolitik rasch etwas ändert. Das Handeln der Europäischen Zentralbank dürfte weiter von der schwelenden Finanzkrise bestimmt werden – von überschuldeten Staaten und Not leidenden Banken. Gerade sie profitieren von niedrigen Zinsen. Den Stiftungen verlangt das ein noch professionelleres Vermögensmanagement ab, das Einwerben zusätzlicher Spenden und eine engere Zusammenarbeit untereinander. Der Staat, der vom segensreichen Engagement der Stiftungen profitiert, muss mit dem richtigen gesetzlichen Rahmen helfen.