Ein Tauschgeschäft zwischen Siemens und Alstom hilft Deutschland und Frankreich

Jubel ist nirgends zu vernehmen über die Aussicht, dass Siemens und dessen französischer Konkurrent Alstom womöglich zwei strategisch bedeutende Sparten tauschen: Alstom könnte von Siemens das Geschäft mit Hochgeschwindigkeitszügen übernehmen, Siemens verleibt sich die Energiesparte von Alstom ein, in der Kraftwerksturbinen hergestellt werden, aber auch Hochspannungselektronik wie etwa Umspannwerke für Windparks auf See. Eine zwingende industrielle Logik für ein solches Geschäft hatte wohl bis vor wenigen Tagen niemand im Sinn – bevor der US-Konzern General Electric (GE) in der vergangenen Woche überraschend ein Angebot zur Übernahme von Alstom vorlegte und damit in Frankreichs Politik heftige Aversionen schürte.

Keine Frage, ein Spartentausch von Siemens und Alstom wäre rein politisch motiviert. Ohne Zustimmung der europäischen Kartellbehörden wird das Vorhaben nicht umgesetzt werden können. Allerdings braucht es ebenso auch eine wirtschaftliche Sinnstiftung. Trotz politischer Strippenzieherei ist diese durchaus gegeben: Eine stärkere Konzentration auf Energietechnologie bei Siemens und auf Bahntechnik bei Alstom kann beide Konzerne stärken. Unter dem Strich würde das Europas Industrie nützen. Zudem wäre es ein gutes Signal aus Deutschland an Frankreich, dem wirtschaftlich bedrängten Freund und Nachbarn in einer schwierigen Situation zu helfen. Am Ende wäre es wohl für die französische Politik leichter zu ertragen, den alten Rivalen Siemens näher ans industrielle Erbgut des Landes heranzulassen als ausgerechnet die Amerikaner und ihre brachiale Renditemaschine GE.

Das Wort Industriepolitik scheint in Europa längst vergessen. Die vergangenen Jahre seit dem Beginn der Finanzmarktkrise standen vor allem im Zeichen massiver staatlicher Interventionen am Bankenmarkt. Industriepolitik im besten Sinne allerdings, die Stärkung strategisch wichtiger Unternehmen und Branchen, kann Volkswirtschaften erheblichen Gewinn bringen. Die reine Lehre der Stehpult-Ökonomen, wonach sich Politik aus der Wirtschaft möglichst gänzlich herauszuhalten habe, wird und wurde weltweit noch nirgends praktiziert. Wenn der europäische Flugzeughersteller Airbus etwa ein herausragendes Angebot für die Modernisierung der Tankflugzeugflotte bei der Luftwaffe der Vereinigten Staaten vorlegt, wird das Ausschreibungsverfahren von Parlamenten und Gremien dort so lange bearbeitet, bis der Auftrag schließlich beim US-Konzern Boeing landet. Auch das ist Industriepolitik.

Überhaupt lohnt angesichts von Siemens und Alstom auch ein Blick auf Airbus: Trotz jahrzehntelanger interner deutsch-französischer Querelen, trotz Macht- und Ränkespielen zwischen den Kraftzentren des Unternehmens ist der europäische Luftfahrtkonzern heutzutage der erfolgreichste Hersteller von Zivilflugzeugen weltweit. Und seine beiden wichtigsten Standorte sind Toulouse und Hamburg. In der Hansestadt weiß man sehr genau, was langfristige Industriepolitik bewirken kann – zum Beispiel Tausende neue Arbeitsplätze, die durch den Flugzeugbau an der Elbe in den vergangenen Jahren neu geschaffen wurden. Getragen wurde Airbus ursprünglich von dem Willen, die Stärken des deutschen und französischen Flugzeugbaus zu bündeln.

Ein Tauschgeschäft zwischen Siemens und Alstom wäre ein starkes Signal für die Wirtschaft in Europa, ein Zeichen auch dafür, dass Deutschland und Frankreich in der Europäischen Union zusammenstehen und miteinander arbeiten. Zum Wohle ihrer Wirtschaft und ihrer Bürger.