Die Faszination für Serien wie „Mad Men“ hat auch den Hintergrund, dass die Welt sich damals noch langsamer zu drehen schien.

Das „Esquire“-Magazin aus den USA hat zum Start der finalen Staffel von „Mad Men“ etwas Großartiges getan: Sie sind zurückgegangen in das Jahr, in dem die Serie zum ersten Mal lief (2007), und haben zusammengetragen, was sich seitdem verändert hat (eine ganze Menge). Zum Beispiel, dass man Fernsehen heute nicht mehr zwangsläufig im Fernsehen guckt. Dass es jetzt iPhones gibt. Dass es Justin Bieber gibt. Und dass Wladimir Putin wahrscheinlich nicht mehr Mann des Jahres im „Time“-Magazin wird.

Auch wenn man auf Hamburg im Jahr 2007 schaut, kann man für sich einen kurzen, aber dafür nicht minder schönen Aha-Effekt erzielen. Busse hatten damals noch kein eigenes Beschleunigungsprogramm, Ikea-Möbelhäuser verortete man spontan auf die grüne Wiese, nicht in die Mitte von Altona. Beim Tennisturnier am Rothenbaum hieß das Endspiel Roger Federer gegen Rafael Nadal, und der Hamburger SV spielte in der Champions League (wenn auch nur in der Vorrunde).

Sieben Jahre, und die Welt scheint eine andere; kein Wunder, dass der allumfassende Trend zu Vintage und Retro anhält und anhält und anhält. Irgendetwas muss einem bei diesem Tempo ja das Gefühl von Werten und Beständigkeit geben, und sei es eine Serie wie „Mad Men“, die das kulturell prägendste Jahrzehnt überhaupt feiert und thematisiert: die 60er-Jahre. Es ist eine große Sehnsucht, die beim Erfolg dieses TV-Ereignisses mitschwingt.

Alles soll sich noch einmal so stylish, so voller Pioniergeist anfühlen wie damals, aber gleichzeitig auch geordnet und irgendwie: einfacher zu verstehen. Gut, gesoffen wurde damals noch jede Menge, vor allem bei der Arbeit und in den Agenturen. Bei „Mad Men“ wird das so übertrieben, dass man sich fragt, wie man überhaupt einen Arbeitstag mit so viel Gin überstehen kann. Aber man fragt sich auch, ob das schlechter oder besser war als die Zustände heute, in so manchem Jungunternehmen, nehmen wir etwa: Zalando.

Dort hatte nämlich eine Reporterin von RTL ein paar Wochen lang recherchiert und anschließend über die unwürdigen Arbeitsbedingungen berichtet: An manchen Tagen hatte sie im Erfurter Warenhaus Laufwege von bis zu 27 Kilometern zu absolvieren – während einer einzigen Acht-Stunden-Schicht und für ein Gehalt irgendwo zwischen Unverschämtheit und Mindestlohn. Überraschend ist das nicht, wenn man sich das Geschäftsmodell von Zalando anschaut. Aber das ist ja im Jahr 2014 irgendwie auch egal geworden, einen Shitstorm gibt es dann trotzdem. Noch so ein Ding, von dem man 2007 noch nicht gehört hatte.

Seltsam ist das und sicher kein Paradoxon, an dem nur ich an manchen Tagen verzweifeln könnte: Weil man es sich so wunderbar heimelig eingerichtet hat in seiner voll vernetzten Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, die auf den Displays unserer Smartphones leuchten und leuchten und leuchten. Wobei einen aber immer mehr das Gefühl beschleicht, dass damit etwas nicht in Ordnung sein könnte.

Für die schöne neue Smartphone-Welt braucht man Coltan, was für die Menschen, die es zum Beispiel im Kongo für uns abbauen, die Hölle auf Erden ist. Ich kenne niemanden, dem das egal ist. Ich kenne aber auch niemanden, der deswegen auf sein Smartphone verzichten würde. Und wahrscheinlich ist das ein Dilemma, aus dem man als einzelner Verbraucher in der westlichen Welt gar nicht mehr alleine herauskommt. So reagieren die Menschen dann auch: Sie zucken entweder mit den Schultern. Oder stellen fest, dass es die Regierungen der ausgebeuteten Staaten selbst sind, die das Übel an der Wurzel packen müssen.

Nie war Konsumieren einfacher als heute, aber noch nie hat es sich bei so vielem so falsch angefühlt. Auf kurze Sicht macht es uns sicher zufrieden. Auf lange Sicht macht es uns wahrscheinlich krank. Reportagen wie über die Coltan-Mine im Ostkongo, über Bekleidungsfabriken in Bangladesch, über Zalando oder Amazon reißen uns kurz heraus aus unserer Komfortzone, aber wirklich lang hält die Betroffenheit nicht vor. Wie denn auch, so schnell wie sich die Welt dreht.

Was uns da bleibt? Zum Beispiel „Mad Men“ und eine diffuse Faszination für die Zeiten, in der die Welt noch einigermaßen geordnet schien. Dafür gibt es jetzt auch den „Vintage Flaneur – die Zeitschrift für ein modernes Leben im Stil der 20er- bis 50er-Jahre“. Weil die Sehnsucht immer größer wird.

An dieser Stelle schreibt Iris Hellmuth jede Woche über das Zusammenleben der Generationen