Die sportliche Talfahrt des HSV entspricht dem Leistungsvermögen. Zuletzt war es eher Betriebssport als Abstiegskampf. In dieser Saison gibt es keine Mannschaft, die schlechter ist als der HSV.

Der Abstiegskampf in der Bundesliga ist auch nicht mehr das, was er für Hamburg immer war. Denn der geneigte HSV-Fan kann nicht einmal mehr auf eine über Jahre geltende Regel bauen: Der HSV hat sich in der jüngeren Vergangenheit immer nur deshalb vor dem Sturz in die Zweite Liga gerettet, weil es (mindestens) drei Vereine gab, die noch schlechter waren, und nicht etwa, weil er so überragend gespielt hat. In diesem Jahr ist die Situation eine grundlegend andere. Wer den sportlichen Absturz des HSV ganz ohne die rosarote Vereinsbrille betrachtet, der kann nur zu einem Schluss kommen: In dieser Saison gibt es keine einzige Mannschaft, die schlechter ist als der HSV. Das ist die bittere Wahrheit.

Und wenn die Herren, die an der Spitze des letzten Bundesliga-„Dinos“ (noch) die roten Hosen anhaben, diese Realität endlich anerkennen, würden sie zugeben müssen, was viele im Umfeld des Vereins längst wissen. „Wahrscheinlich steht die Mannschaft zu Recht da unten“, befand Trainer Mirko Slomka nach der vielleicht schlimmsten und folgenreichsten Blamage der vergangenen Jahre, der 1:2-Niederlage in Hannover. Und niemand widersprach dem Coach. Und sogar Sportchef Oliver Kreuzer sprach endlich einmal Klartext: „Mit so einer Leistung bleibt man nicht in der Bundesliga...“ Natürlich nicht. Aber, um das Pferd einmal von der anderen Seite aufzuzäumen: Wie oft eigentlich hat der HSV eine Leistung gebracht, mit der man in der Liga bleibt? Solche Spiele sind in dieser Saison an einer Hand abzuzählen.

In der Regel wurden beim HSV für schlechte und sogar für die schlechtesten Spiele stets fadenscheinige Ausreden gefunden. Unterirdische Kicks wurden schöngeredet, die Sorgen der Fans ignoriert, zweifelnde und verzweifelt am Boden liegende HSVer mit netten Worten vertröstet – bis zur nächsten Pleite. Jetzt aber, wo die sportliche Pleite fast nicht mehr abzuwenden ist, beginnen die Herren langsam damit, jenen HSV-Anhängern, die noch immer an das Gute in diesem Club und seiner Mannschaft glauben, die Augen zu öffnen. Dabei zeigt hier schon seit Wochen gefühlt jeder Zweite ein deprimierendes Entsetzen.

Nur ein Wunder kann diesen maroden HSV noch retten. Das ist Fakt, das kann angesichts des Tabellenstandes niemand schönrechnen. Jetzt sind jene Herren in kurzen Hosen gefragt, die von Mirko Slomka am Sonnabend auf den Rasen geschickt werden. Gegen den VfL Wolfsburg, der immerhin noch um einen Platz in der Champions League spielt, sollen sie das Unmögliche doch noch möglich werden lassen. Dazu allerdings wäre dringend vonnöten, dass diese Männer endlich begreifen, wie sich ein Profi im Abstiegskampf zu bewegen hat. Das Spiel zuletzt in Hannover sah eher aus, als hätte sich eine Betriebssportgruppe zum Freundschaftskick herabgelassen. Niemand ist mehr bereit, für den HSV Kopf und Kragen zu riskieren.

Eigentlich müsste „der nette Herr Slomka“ vor dem Spiel gar nichts mehr sagen. Seine Mannschaft müsste an diesem Sonnabend um 15.30 Uhr für die folgenden 90 Minuten wissen, worum es geht. Selbst das beckenbauersche „Geht’s raus und spielt’s Fußball“ wäre schon zu viel. Wer den Ernst der Lage vier Tage vor Saisonschluss (und immer noch auf dem Relegationsplatz stehend) noch immer nicht begriffen hat, der hat seinen Beruf verfehlt.

Aber was ist, wenn es gegen Wolfsburg wieder schiefgehen sollte – und der HSV am Ende tatsächlich absteigt? Nun ja, das Leben wird weitergehen, auch wenn HSV-Fans das Gefühl der Zweitklassigkeit in fünf Jahrzehnten noch nicht kennengelernt haben. Ein Profi aber, der etwas auf sich hält, der will nicht zweitklassig spielen – auch wenn er zuvor monatelang scheinbar den sportlichen Gegenbeweis angetreten hat. Die meisten werden das Abenteuer beim HSV unter „unglücklich gelaufen“ abhaken und die Brötchen eben woanders verdienen.

Die Betrogenen aber sind die „echten“ Fans, die nur die Liebe zum HSV im Herzen tragen. Sie werden monatelang leiden und Trauer tragen – auch in Liga zwei. Aber sie werden nie vergessen, wer dafür verantwortlich ist, dass der Traditionsverein von der Rothenbaumchaussee im Sommer 2014 von der großen europäischen Fußball-Landkarte verschwunden ist.

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab