Eine Glosse von Alexander Schuller

Mein Wohnungsnachbar Paul hat sich neulich, beim zufälligen gemeinsamen Rauchen Balkon an Balkon, als empathischer Zeitgenosse geoutet. Er erzählte, ausnahmsweise sehr ernst, dass er ein ziemlich morbides Hobby habe: Er sei ein akribischer Leser von Todesanzeigen. Besondere Exemplare würde er sogar ausschneiden und sammeln. Und was ihn dabei besonders fasziniere, sei die Tatsache, dass in den Anzeigen offenbar häufig geschwindelt würde: „‚Unvergessen?‘ ‚Ewig im Herzen?‘ Vergiss es“, sagte er, „das Unkraut auf vielen Gräbern beweist doch das genaue Gegenteil. Aus den Augen, aus dem Sinn!“

Da ist was dran, dachte ich. Deshalb würde er auch keine Dahingeschiedenen aus seiner Facebook-Freundesliste eliminieren, fuhr er fort, was ich jedoch nicht sofort kapierte. Wieso nicht?, erwiderte Paul, einmal im Jahr käme doch der Hinweis auf den Geburtstag. Er würde dann natürlich nicht gratulieren. Aber das sei doch eine hervorragende Gelegenheit, an den Verstorbenen zu erinnern.