Willst du mich heiraten? Fast 400.000-mal wird in Deutschland jährlich die Frage aller Fragen gestellt. Aber bitte romantisch

Kürzlich las ich, dass schon 14 Prozent aller Heiratsanträge von Frauen gemacht werden. Der Anteil ist nicht besonders hoch, aber das heißt doch: Bei jeder siebten Verlobung nimmt sie das Heft selbst in die Hand.

„Verlobung“ klingt heute schon fast antiquiert – von „meinem Verlobten“ oder „meiner Verlobten“ sprechen Leute fast nur noch, wenn sie beim Makler eine Wohnung besichtigen. Fast ein Drittel der Hochzeiter verzichtet heute sogar ganz auf das Antragsritual, ermittelte eine Umfrage von deals.com, einem Gutscheinportal. Das läuft wohl so: Plötzlich sagt einer von beiden: „Schatz, lass uns heiraten“, und der andere sagt: „Wird gemacht.“ Kurz und schnörkellos.

Heiraten ist jedenfalls nicht aus der Mode gekommen. Jährlich werden in Deutschland um die 390.000 Ehen geschlossen, die Zahlen sind seit zehn Jahren etwa konstant geblieben. Kalendarisch ist es jedes Jahr dasselbe: Im Mai schnellen die Zahlen der Eheschließungen hoch wie Tulpen und bleiben im Sommer doppelt so hoch wie etwa im April.

Erstaunlicherweise treten aber die meisten Paare nicht im Mai, sondern im August vor den Traualtar. Vielleicht haben sie vorher noch einen Probeurlaub gemacht, um abschließend festzustellen, ob man sich in Büsum oder Tunesien allzu sehr auf den Wecker geht, und wenn ja, was man dagegen unternimmt.

Ein Heiratsantrag ist ja gewissermaßen ein „point of no return“. Damit lassen sich die Deutschen Zeit: Laut der Umfrage beginnt eine Verlobung im Schnitt nach 2,6 Beziehungsjahren und dauert dann ziemlich genau zwölf Monate. Die meisten Paare kennen sich also dreieinhalb Jahre, bevor sie zum Standesamt gehen. Da hat man schon eine gewisse Übung, sich zu streiten und wieder zu versöhnen beziehungsweise bei drohenden Konflikten mit dem Hund rauszugehen oder ins Fitnessstudio zu fliehen.

Noch etwas spricht für die deutsche Eigenheit, bloß nichts zu überstürzen: Das Heiratsalter steigt. 1991 waren die Bräutigame durchschnittlich 28, heute sind sie 33 Jahre alt. Bei den Frauen verschob sich das Ehe-Eintrittsalter von 26 auf 31 Jahre. Wohlgemerkt: bei der ersten Hochzeit (würde man noch die Zweit- und Drittehen einrechnen, wären unsere Hochzeiter im Schnitt noch älter). Geheiratet wird heute auch nicht zwingend vor dem ersten Kind, sondern oft erst, wenn beide Partner schon mehrere mitbringen.

Aber bei den Heiratsanträgen erleben wir offenbar eine Re-Romantisierungswelle. Jede dritte Frau legt Wert darauf, stilvoll zu Hause oder im Kreis der Familie gefragt zu werden. Im Hinterkopf haben sie so hinreißend herzerwärmende Antragsszenen wie die mit Nicolas Cage und Cher in „Mondsüchtig“. Oder mit Matthew Macfadyen in „Stolz und Vorurteil“, der Keira Knightley frühmorgens auf einer einsamen Wiese endlich die Frage aller Fragen stellt. Bei den Männern finden nur 16 Prozent einen romantischen Rahmen wichtig.

Den meisten würde die Frage „Willst du mich heiraten?“ vielleicht auch auf der Autobahn, im Einwohnermeldeamt oder beim Umräumen im Hobbykeller reichen. Kein Wunder, dass jede zwölfte Frau (acht Prozent) der Umfrage zufolge von dem Antrag enttäuscht war.

Aber schon 14 Prozent der Befragten wollen es doch etwas extravaganter, zum Beispiel im Urlaub auf den Malediven, beim Sonnenuntergang am Meer oder bei einem Candlelight-Dinner. Es kann ja nicht jeder ein Publikum herbeizaubern wie Johnny Cash, der seine June 1968 beim Konzert in Ontario bat, endlich seine Frau zu werden (und nicht, wie im Film, beim Konzert im Folsom Prison).

Dagegen sind die Deutschen sehr konventionell: Nur zwei Prozent wünschen sich einen Antrag in der Öffentlichkeit. Aber nur jeder Fünfte findet es peinlich, wenn der Heiratsantrag dann per Video auf YouTube erscheint, wo man schon Anträge aus dem fahrenden Auto, im Kinosaal, im Biergarten, bei einem Flashmob sehen kann. Viele Orte urbaner Antragsgestaltung sind womöglich noch völlig ungenutzt: die Aussichtsplattform auf dem Michel etwa oder eine Hafenbarkasse.

Nur eins blieb mir rätselhaft: Was haben Verlobungsumfragen eigentlich mit Gutscheinen zu tun?