Wie schön, dass man Scanner, PC, Audio-Video-Kabel und Analog-zu-Digital-Umwandler mal vergessen kann. Findet meine Tochter

Ein Gang in den Keller kann weitreichende technologische Folgen haben. Beim letzten Mal entdeckte ich zum Beispiel außer alten Armbanduhren und der Berechtigungsurkunde für ein Familiengrab auf dem Friedhof Mathildenstraße in Lüdenscheid einen großen Umzugskarton voller Dias, die wir gut 20 oder 30 Jahre lang nicht gesichtet hatten. Seitdem stehen in unserem Wohnzimmer ein Diaprojektor, eine Dialeinwand und rund 50 Diakästen und verbreiten das Flair der 1980er-Jahre.

Dia-Abende waren der Schrecken meiner Jugend, quasi die Vorboten der Medienschwemme. Vor 30 Jahren verewigten Millionen Bundesbürger ihren Urlaub auf Ibiza, im Blockhaus in Norwegen und mit Neckermann in Thailand auf Diapositiven, die in kleine Rähmchen gesteckt wurden. So ließen sich dann all die Sonnenuntergänge, Tempel, malerischen Buchten und schelmisch grinsenden Einheimischen hinterher vergrößert auf die Leinwand werfen und dem staunenden Freundes- und Familienkreis präsentieren. Der Dia-Abend war ein Statussymbol, aber leider das einschläferndste aller Zeiten. Zwar wurden zur Stärkung die guten alten Käse-Igel und Schnittchen gereicht (das war nämlich, liebe Kinder, lange vor der Erfindung der Cherry-Tomate und des Lachs-Bagels). Trotzdem schlief mein Vater regelmäßig beim Zuschauen ein, während es den weiblichen Familienmitgliedern irgendwie gelang, sich den visuellen Herausforderungen mit größerer Ausdauer zu stellen.

Inzwischen hat uns das Zeitalter der Power-Point-Präsentationen gelehrt, dass man sein Publikum nur durch eine geeignete Bildauswahl bei der Stange halten kann. Und wer will heute noch Projektor, Diakästen und Bildwand aufbauen, wenn man Urlaubsfotos viel praktischer auf einer kleinen DVD zur Hand hat und auf dem Fernsehschirm betrachten kann? Also haben wir uns im Supermarkt einen Dia-Scanner angeschafft. Man verbindet den Scanner mit dem PC, schiebt einen Halter mit jeweils drei Dias hinein, digitalisiert sie und kann sie im Computer auch gleich bearbeiten. Wenn ich nur die Hälfte aller Bilder auswähle, sind das schätzungsweise 800 Dias. Seither gilt bei uns frei nach Wilhelm Busch: „Und abends in früher Dämmerung / haben Jungs eine schöne Beschäftigung“.

Im Prinzip ist es dasselbe wie in den Neunzigern, als ich alte Lieblingsschallplatten von „Police“ und „Supertramp“ auf Kassetten überspielte (denn damals, liebe Kinder, hatten Receiver noch ein Kassettendeck). Ein Bekannter übertrug die Super-8-Filme seiner Eltern aus den Sechzigern auf VHS-Videobänder. Heute ist er damit beschäftigt, von diesen VHS-Kassetten wiederum am Computer DVDs anzufertigen. Dazu braucht er außer einer Software wie Moviemaker seinen alten Videorekorder, Audio-Video-Kabel, einen DVD-Brenner und außerdem eine DV-Kamera für die Analog-zu-Digital-Umwandlung. Man kann das heute zwar auch bei zahlreichen Digitalisierungsdienstleistern erledigen lassen, aber wenn man die Filme noch selbst bearbeiten will...

Eine ganze Generation – nämlich meine – ist heute zu Transformern geworden. Nicht wie die gestaltwandlerischen Roboter aus den Actionfilmen, sondern quasi die Heimarbeiterversion. Wir haben das Tonband zur Kassette, die Kassette zur CD, den Film zum Video und vom Video zur DVD, das Papier- zum Digitalfoto transformiert, üben gerade das Filmen mit Smartphones und werden, wenn wir etwa neunzig sind, womöglich die ersten nichstofflichen Aufnahmevarianten erlernen.

Bloß: Was machen wir dann mit dem ganzen Digitalisierungsgerätepark?

Vermutlich dasselbe wie irgendwann mit dem Diaprojektor: Ablage Recyclinghof. Dachte ich. Aber meine Tochter findet Dias „total gemütlich“. Die umständliche Prozedur – Projektor aufbauen, Diareiter rein- und rausschieben, die leicht gelbstichigen Aufnahmen durchknipsen – hat in ihren Augen einen nostalgischen Reiz, ähnlich wie Tante-Emma-Läden, Rühmann-Filme oder „Tatort“ gucken in der Kneipe.

Neulich hat sie Freunde zum ersten Dia-Abend eingeladen. „Mit Papa und Mama 1991 in Marokko“ ist ja auch ein Format, das es nirgendwo sonst gibt.