Hamburg möchte Sportstadt sein – aber zugleich verschwinden Bolzplätze und machen Nachbarn den Vereinen das Leben schwer

Es gab Ende der 90er-Jahre eine großartige Werbekampagne von Nike in Berlin: Der US-Sportkonzern warb für den Sport in der Stadt, schilderte die Bolzplätze um die Ecke aus und drehte einen Werbefilm mit jungen Sportlern, die auf eingezäunten Grandplätzen im Schatten der Hochhäuser dem Ball hinterherjagen. Der geniale wie einfache Slogan lautete: „Die Freiheit liegt hinter Gittern.“ Werbung wirkt – in den folgenden Monaten entdeckten die Berliner ihre Spiel-, Sport- und Bolzplätze neu.

Auch die Hamburger entdecken gerade ihre Spiel-, Sport- und Bolzplätze neu – allerdings vor allem Städtebauer, Projektentwickler und Investoren. In allen Stadtteilen geraten die Grün- und Grandflächen ins Visier der Politik. Die Wohnungsbauoffensive drängt die Vereine in die Defensive. Mal sind es finanzielle Verlockungen, dann das Versprechen einer schönen neuen Sportparkwelt, denen die Vorstände und Mitglieder erliegen. In Marienthal an der Oktaviostraße stirbt das Stadion des ruhmreichen SC Concordia seit 2009 – hier sollen in Kürze Wohnungen entstehen.

Gleiches passiert im Westen der Stadt in Othmarschen und Ottensen: Die Adolf-Jäger-Kampfbahn an der Griegstraße beispielsweise hat Altona 93 bereits verkauft – in einigen Monaten könnten hier die Bagger anrollen. Und mit ihnen werden auch die Sportplätze am Trenknerweg, am Othmarscher Kirchenweg und an der Wichmannstraße vom Fußball- zum Bauplatz. Der alte Rasenplatz am Veilchenweg in Eimsbüttel ist längst Geschichte und in einem neuen Sportpark aufgegangen. Gerade klassische Stadien mit 400-Meter- Rundlaufbahnen und Weitsprunggrube verschwinden peu à peu. Auch Sportsenator Michael Neumann sorgt sich: „Eine Sportfläche, die einmal weg ist, ist für immer weg.“

Natürlich ist der Wohnungsbau, lange vernachlässigt, verdrängt, vergessen, heute das zentrale Thema in der Stadt. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat dieses Manko der Vorgängersenate Griegerkannt und steuert offensiv dagegen, die Zahl der Baugenehmigungen steigt rasant. Und diese Entwicklung steht erst am Anfang: Unter dem Stichwort Nachverdichtung werden noch viele Bolzplätze um die Ecke als potenzieller Baugrund entdeckt und verwertet werden.

Bei allem Verständnis für nötige Neubauten – Hamburg und seine Stadtteile leben von ihrer Vielfalt, erst sie macht ein Viertel attraktiv. Neben Kneipen und Geschäften zählen dazu auch Sportanlagen, die Leben in ein Wohngebiet bringen. Spielplätze mit kleinem Bolzbereich können sie nicht ersetzen. Auch die Sportvereine sind in ihrer Jugendarbeit auf kurze Wege angewiesen. Der nächste Sportpark kann mit Kunstrasen und modernen sanitären Anlagen noch so attraktiv scheinen; liegt er mehrere Kilometer entfernt am Ende der Welt, werden einige Eltern allein aus logistischen Gründen ihre Kinder im Verein abmelden.

Zumal bei den schicken Sportparks ein weiteres Problem hinzukommt – die Bundesimmissionsschutz-Verordnung. Bei Neubauten und Sanierungen gelten schärfere Grenzwerte, und die rufen lärmgeplagte und ruhebedürftige Anwohner auf den Plan. In der vergangenen Woche kochte der Streit um den Fußballplatz des TSC Wellingsbüttel erneut hoch. Hier hatten Nachbarn erstritten, dass der Verein nur noch sehr eingeschränkt seine Plätze nutzen kann, obwohl eine sechs Meter hohe Lärmschutzwand die Sportler abschirmt. Der Krach um Lärm tobt nicht nur in Wellingsbüttel. Bei anderen Vereinen reicht manchmal schon die dezente Drohung, vor Gericht zu ziehen, und die Trainingszeiten dünnen aus.

Im Senat, das zeigen vorsichtige Äußerungen des Sportsenators, wächst das Problembewusstsein – so will Neumann über den Bundesrat Sportflächen hinsichtlich des Lärmschutzes „privilegieren“. Allerdings bleiben die Interessen der Vereine und Verbände in Zeiten des Wohnungsmangels nachrangig. Zwar verfolgt Hamburg das große Ziel der Sportstadt, es ist viel von der Dekadenstrategie mit bunten Zukunftsvisionen die Rede und der Traum von Olympischen Spielen an der Elbe noch nicht ausgeträumt – eine echte Sportstadt aber entsteht nicht bei Konferenzgebäck und Powerpoint-Präsentationen, sondern wächst von unten, auf den Tartanbahnen, den Grandplätzen und Rasenfeldern dieser Stadt. Sie haben besonderen Schutz verdient.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne „Hamburger KRITiken“ jeden Montag Hamburg und die Welt