Causa Edathy: Das Grundprinzip des Staates funktioniert offensichtlich nur unzureichend

So unspektakulär der sogenannte Fall Edathy begann, nämlich mit dem Rücktritt eines Bundestagsabgeordneten aus „gesundheitlichen Gründen“, so unglaublich spitzt er sich jetzt zu. Es scheint eine dieser Geschichten von der kleinen Ursache mit der großen Wirkung zu sein. Der SPD-Politiker hat eine Krise ausgelöst, die so heikel für Staat und Regierung ist, weil sie seltene Einblicke in das Zusammenwirken verschiedener Gewalten – Exekutive, Legislative, Judikative – gibt, deren strikte Trennung sich anscheinend mit simplen Telefonaten aufheben lässt.

Da informiert ein Mitglied der Exekutive, der Innenminister, den Bundesvorsitzenden der SPD, selbst Abgeordneter des Bundestages und damit Mitglied der gesetzgebenden Gewalt, über eine Ermittlung gegen einen seiner Abgeordneten – und riskiert damit, dass dieser gewarnt wird. Die Fraktionsspitze fragt darauf wiederum bei einem Vertreter der Exekutive, dem Chef des Bundeskriminalamtes, nach, was denn nun dran sei an den Vorwürfen.

Und die Staatsanwaltschaft, formal der Exekutive zugeordnet, aber eben auch Wegbereiter für die Gerichtsbarkeit, gibt sich fassungslos, weil sie von alldem nichts gewusst haben will. Um dann Details zum Einzelfall zu veröffentlichen, als ob das Prinzip der Unschuldsvermutung in der Bundesrepublik nie existiert hätte. Mal abgesehen davon, dass sich die Vorwürfe gegen Edathy bisher in einem Bereich abspielen, der sich zwar moralisch, aber eben nicht strafrechtlich verurteilen lassen dürfte. Rechtsstaat? Demokratie? Gewaltenteilung?

Die seltsamen Ereignisse der vergangenen Tage rütteln heftigst an den Grundsätzen, auf denen wir unser Land aufgebaut sahen. Deswegen muss man all jenen vehement widersprechen, die jetzt versuchen, die Vorkommnisse kleinzureden. Das sind sie nicht, und der Beobachter fragt sich: Wie läuft das wirklich zwischen jenen, die den Staat beherrschen? Ist die Macht überhaupt noch ausbalanciert? Oder stößt das sinnvolle Prinzip der Gewaltenteilung sofort an Grenzen, wenn es nicht mehr um Institutionen, sondern um Personen geht?

Es scheint so zu sein. So verständlich etwa das Verhalten des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU) gewesen sein mag, den künftigen Koalitionspartner SPD davor zu warnen, Edathy in ein Amt zu heben, weil „da noch was kommen kann“, so unklug war sein Vorgehen. Denn selbstverständlich muss ein Minister zuallererst Staatsmann sein und wissen, wem er die Dinge sagen darf, die er qua Amt erfährt. Das ist übrigens, zumindest soweit man das bis heute beurteilen kann, eine der großen Stärken von Angela Merkel. Hätte Friedrich zunächst sie angerufen und in der Causa Edathy um Rat gefragt, hätte es die aktuellen Verwerfungen mit großer Sicherheit nicht gegeben. Es bleibt die Frage, warum er genau das nicht getan hat, warum er ausgerechnet die Kanzlerin nicht über die Gefahr für die schwarz-rote Koalition informiert hat.

Wahrscheinlich hat der ehemalige Innen- und Landwirtschaftsminister wirklich in der guten Absicht gehandelt, Schaden von der Regierung abzuwenden – erreicht hat er das Gegenteil. Für Friedrich dürfte es ein schwacher Trost sein, dass er wenigstens verhindert hat, dass Edathy eine Position in der Großen Koalition erhalten hat. Denn ein Minister musste eben doch zurücktreten – er selbst.

Was noch aus der Affäre werden kann, lässt sich zu dem Zeitpunkt schwer vorhersagen, an dem die SPD-Spitze sich unangenehmen Fragen stellen muss. Zu hoffen ist, dass die drei Gewalten künftig beweisen, dass sie nicht so miteinander kungeln, wie es zuletzt den Anschein hatte. Und dass sie sich nie wieder so leichtfertig und unverantwortlich anstellen wie im oben beschriebenen Fall – und sei es nur, weil sie Angst davor haben, dabei ertappt zu werden.