Manche Smartphone-Programme sind praktisch. Viele aber wecken Zweifel, ob der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist

Manche Zeitgenossen halten Apps für einen Quantensprung in der Menschheitsgeschichte, vergleichbar mit der Mondlandung oder der Erfindung des Buchdrucks. Zugegeben, es ist sehr praktisch, wenn man unterwegs das nächste China-Restaurant im Handy suchen kann. Oder wenn man in der S-Bahn urplötzlich Lust hat zu googeln, wann und wo eigentlich der Deutsch-Dänische Krieg stattgefunden hat. Aber genauso wie der Buchdruck nicht nur eine enorme Alphabetisierung und Verbreitung von Kulturgütern mit sich brachte, sondern auch eine Menge überflüssiger Pamphlete, sind einige hilfreiche Apps schon heute umgeben von einem Überangebot der Hirnrissigkeiten.

Wer zum Beispiel braucht „iDragPaper“? Mit dieser App zum Preis von 80 Cent können Toiletten-affine Menschen auf dem iPhone eine virtuelle Klorolle abwickeln. Oder die App „Hangtime“: Mit der kann man messen, wie lange das iPhone durch die Luft fliegt, wenn man es hochwirft. Wenn es dann im Eifer des Gefechts in die Topfpflanzen knallt oder aus dem Fenster saust, sind die Kosten allerdings weit höher als die 79 Cent Gebühr. Bei den zahlreichen Smartphone-Apps mit Rülps- und Flatulenzgeräuschen drängt sich der Eindruck auf, dass sie einfach die digitale Fortsetzung des guten alten Schnarch- und Pupssacks aus Pennälerzeiten sind. Ein Fall für diejenigen, die ihre frühkindlichen Phasen nie abgeschlossen, sondern dauerhaft ins Erwachsenenalter überführt haben. Noch dämlicher ist „Hold on“: Man drückt auf einen Knopf, ein Timer beginnt zu laufen, und zwar – raten Sie mal – so lange, wie man den Knopf drückt.

Fast schon intellektuell sind dagegen Entscheidungshelfer-Apps, denen man Antworten wie Ja oder Nein oder die Auswahl von Lottozahlen überlassen kann. Offenbar fällt es vielen Menschen heute schwer, Entscheidungen zu fällen, aber das könnten sie auch kostenlos mit Flaschendrehen erledigen. Auch Neurotiker-Apps gibt es. Zum Beispiel für Leute, die ihre Umgebung damit wahnsinnig machen, dass sie ständig mit dem Kugelschreiber knipsen. Jetzt können sie (sogar kostenlos!) mit der App „Switchblade, Free self defense“ ein Schweizer Messer auf dem Display auf- und zuklappen. Was das mit „Selbstverteidigung“ zu tun hat, bleibt vage. Die Steigerung ist „Zombie Saw“, genau: ein Kettensägenmassaker, bei dem ein Sägeblatt rotiert und digitales Blut aufs Display spritzt.

Sicherlich ließe sich das alles mit dem Homo ludens erklären, dem offenbar unerschöpflichen menschlichen Spieltrieb, der sich von keinerlei störender Vernunft bremsen lässt. Oder aber der Weltenschöpfer, den wir uns immer als eine Art Bildungsbürger vorstellen, hat sich gesagt: „Na ja, die brauchen eben Medien mit viel Speicherplatz, wie soll man sich das ganze Kulturwissen auch sonst merken“, und ist dabei einem fürchterlichen Irrtum aufgesessen. Gib dem Menschen Speicherplatz – und er füllt ihn mit Schnappmessern, Klorollen und Kühen.

Apps mit Tieren gibt es nämlich auch. Bei „Cow Toss“ kann der Benutzer für 89 Cent eine Kuh auf dem Display in die Luft werfen. Genauso sinnfrei ist „iBug“, da kriecht für stattliche 2,39 Euro ein Marienkäfer über den Bildschirm. Mag sein, dass das auf stressgequälte Broker und Immobilienmaklerinnen irgendwie beruhigend wirkt, vielleicht auch auf HSV-Spieler, die heute offenbar schon nach einem einfachen Abseitstor traumatisiert sind. Die Krönung allerdings sind Apps zu Hundeerziehung.

Drei davon hat neulich der ARD-Internetratgeber getestet, an der fidelen Mopshündin Luna und dem Retriever Angelo. Die Besitzer versuchten nach App-Anleitungen, den Hunden drei Befehle beizubringen: „Aus“ (Stöckchen hergeben), „Sprich“ (bellen) und „Roll over“ (einmal rumkugeln). „Aus“ war auch ohne App kein Problem. Bei den anderen Kommandos starrte Angelo sein Herrchen nur erwartungsvoll an, während Luna aus ihren leicht vorquellenden Glubschaugen indifferent in die Gegend guckte (Leute, geht’s noch?). Die Hunde hatten längst begriffen, was ein Hundetrainer später bestätigte: Die Apps haben überhaupt nichts gebracht.

Irene Jung schreibt an dieser Stelle jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag