Der Bedeutungsverlust der deutschen Sprache ist kein Zufall – er wird im Land von Goethe und Kant herbeigeredet

Deutschen sagt man nach, sie sprächen nicht das allerbeste Englisch. Ihr „th“ gilt als mittlere Katastrophe, der Dialekt der „Krauts“ klingt grob, ihre Fehler sind Legende. Das aber hält sie nicht davon ab, bei allen passenden wie umpassenden Gelegenheiten Englisch zu schnacken.

Die deutsche Sehnsucht, weltoffen zu klingen, treibt skurrile Blüten. In der vergangenen Woche kam die schwedische Kronprinzessin Victoria nach Hamburg, die Stadt lag ihr zu Füßen. Der alberne Rummel um den „royalen“ Besuch (so antimonarchistisch sind wir schon, dass wir das Wort königlich verdrängt haben) ist das eine, das andere war die sprachliche Verneigung. So begrüßte der Völkerkundemuseumsdirektor Wulf Köpke im Beisein von Bürgermeister Olaf Scholz und dem schwedischen Botschafter in Berlin die Thronfolgerin, die leidlich Deutsch spricht, auf Englisch. Auch alle Reden wurden vor den deutschen und schwedischen Gästen auf Englisch gehalten. Offiziell aus Höflichkeit gegenüber den weiteren Gästen Prinz Daniel und Ministerin Ewa Björling.

Dabei sind Schweden noch relativ aufgeschlossen gegenüber der deutschen Sprache. 2010 lernten dort 27 Prozent der Schüler Deutsch; doch das sind acht Prozentpunkte weniger als fünf Jahre zuvor. Auch wenn gern über einen Ansturm auf die Goethe-Institute gesprochen wird, der Trend ist ein anderer: In Finnland ist der Rückgang noch gravierender, in Holland hat sich der Anteil der Deutschschüler binnen fünf Jahren auf 44 Prozent halbiert, in Polen sank die Quote zwischen 2005 und 2010 von 73 auf 52 Prozent, in Dänemark von 50 auf 35 Prozent. Im Jahr 2000 lernten noch wesentlich mehr Menschen die Sprache Kants und Goethes. Deutsch befindet sich auf dem Rückzug.

Viele Schüler glauben, damit nichts anfangen zu können. Schaut man ins Völkerkundemuseum – sie haben recht. In der Europäischen Union, in der deutsche Muttersprachler mit Abstand die größte Bevölkerungsgruppe stellen, sitzt Deutsch am Katzentisch, während Englisch und Französisch als Arbeitssprachen dominieren. In Schulen und Kitas kann die Zweisprachigkeit nicht früh genug beginnen, selbst in einigen deutschen Gerichtssälen wird inzwischen auf Englisch verhandelt. Wenn die Deutschen am liebsten Englisch sprechen, warum sollte man noch Deutsch lernen?

Natürlich ist Englisch Lingua franca – dagegen zu kämpfen erinnert an das Duell mit Windmühlen. Und doch ist Europa mehr als eine kleine USA auf europäischem Boden. Der große Reiz und Schatz des Kontinents ist seine kulturelle und sprachliche Vielfalt, die mitunter weniger geschützt wird als Wachtelkönig oder Zierliche Tellerschnecke. Sprache ist der Schlüssel zur Kultur. Europa und die Europäer wären gut beraten, wieder mehr Kraft in das Lernen einer zweiten und gar dritten Fremdsprache zu investieren. Und zugleich mit etwas mehr Stolz die eigene Sprache zu pflegen und zu benutzen.

Man muss es nicht so weit treiben wie die Franzosen, die gelegentlich einen Sprach-Chauvinismus an den Tag legen. Man muss aber auch nicht einer sprachlichen Unterwürfigkeit verfallen, über die sich schon die englische „Times“ lustig machte. Vielmehr wäre ein gesundes Selbstbewusstsein im Umgang mit dem sprachlichen Erbe Luthers, Schillers und Manns geboten. Dabei kann man von den Schweden lernen, die gut Englisch sprechen und trotzdem das Schwedische 2009 offiziell zur Landessprache erklärt haben; damit müssen etwa Sicherheitshinweise und Produktinformationen auf Schwedisch verfügbar sein.

Hierzulande kämpfen der Verein für Deutsche Sprache, Teile der CDU und Bundestagspräsident Norbert Lammert seit Jahren vergeblich für die Aufnahme des schlichten Satzes „Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch“ ins Grundgesetz. Die Kanzlerin ist dagegen.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne „Hamburger KRITiken“ jeden Montag Hamburg und die Welt