Jahr für Jahr fügt der HSV der traurigen Geschichte neue Kapitel zu. Auch Bert van Marwijk ist nicht davor gefeit

Der HSV und seine Trainer, das ist längst eine unendliche Geschichte. Bestehend aus Täuschungen und Enttäuschungen, aus Missverständnissen und Irrtümern, aus Ahnungslosigkeit und Selbstüberschätzungen. Jahr für Jahr fügt der Bundesliga-Dino dieser traurigen Serie ein neues Kapitel hinzu. Nun also folgt das neu inszenierte Drama um Bert van Marwijk. Es sind bereits mehrere Akte uraufgeführt worden, es folgen ganz sicher noch weitere, wobei das Ende noch total offen ist. Selbst ein Happy End ist zurzeit nicht ausgeschlossen. Auch wenn das derzeit ein kleines Fußballwunder wäre.

Als der 61 Jahre alte Niederländer, der sich bereits im Vorruhestand befunden hatte, am 25. September in Hamburg vorgestellt wurde, sagte er voller Überzeugung: „Ich hatte viele Angebote von Vereinen, aber es muss passen – und beim HSV hatte ich das Gefühl, dass es passt. Der HSV ist ein großer Verein.“ Das war schon der erste Irrtum. Noch am selben Tag folgten weitere: „Ich bin mir sicher, dass wir die Mannschaft besser machen werden.“ Und: „Der HSV gehört eigentlich Jahr für Jahr in die Spitze der Bundesliga.“

Auch Experten können sich mal irren. Nach der 3:5-Niederlage in Leverkusen etwa befand van Marwijk: „Ich habe trotz der Niederlage gesehen, dass wir jetzt schon weiter sind, als ich es vorher gedacht hätte...“ Von da an ging’s bergab. Besonders das Trainingslager, das über Indonesien nach Abu Dhabi führte, sorgte für Nachschub an Irrtümern. Der Trainer meinte: „Ich habe das Gefühl, dass die Spieler nach und nach immer besser verstehen, was ich von ihnen will.“ Und in Bezug auf den Saisonstart gab er das Motto heraus: „Unsere gesamte Vorbereitung ist auf das Schalke-Spiel ausgelegt.“

Wovon am vergangenen Sonntag nichts zu erkennen war. Die Gründe für das Scheitern liegen am Charakter der Spieler, an ihrer Mentalität. Von Qualität hat der Trainer übrigens nicht gesprochen. Dass der HSV mit Beginn der Saison 2011/12 bis heute in 43 Heimspielen nur 13 Siege geschafft hat, das spielt in diesem Drama keine allzu große Rolle. Beim HSV wird ja nur nach vorn gedacht. Der Trainer erklärte nun, warum er nur einmal pro Tag trainieren lässt: „Es ist wissenschaftlich schon lange erwiesen, dass für Fußballer, die auch einem enormen mentalen Druck ausgesetzt sind, einmal Training pro Tag in Ordnung ist.“

Ist es wissenschaftlich auch erwiesen, dass zweimal Training Spielern, die einem enormen mentalen Druck ausgesetzt sind, schadet?

Beim HSV haben sie seit Jahrzehnten nicht kapiert, dass jede Ballberührung einen Spieler besser machen kann. Ricardo Moniz war eine Ausnahme, Thorsten Fink die andere. Der ordnete immerhin ein Einzeltraining für Artjoms Rudnevs an – und das trug sogar Früchte. Ansonsten: Aufwärmen, Passspiel, Kreisspiel – Abschlussspiel. Auf besondere Schwächen der Spieler eingehen? Wozu das denn? Besondere Stärken der Spieler zu optimieren? Nicht nötig. Einmal pro Tag reicht.

So kommt es, dass beim HSV seit Jahrzehnten kaum ein Spieler mal besser wird. Im Gegenteil, die meisten stagnieren in ihrer Entwicklung, einige entwickeln sich sogar zurück. Jeder Profi aber ist für seine Karriere selbst verantwortlich. Nur darauf zu warten, dass ein Spieler beim HSV „nach oben trainiert“ wird, wäre fatal.

Als sich das ewige HSV-Talent Thomas von Heesen in den 90er-Jahren den Zehnkämpfer Rainer Sonnenburg als Heimtrainer nahm, bekam das kaum jemand mit, weil die Extraschichten in der Jahn-Kampfbahn geschoben wurden. Aber von Heesen blühte fußballerisch auf. Diese Eigeninitiative sei jenen HSV-Profis dringend empfohlen, die noch weiterkommen wollen. Denn ansonsten passiert hier, das lehrt die Erfahrung der letzten 30 Jahre, nichts. Der Trainer sieht das wohl anders: „Wir sind so fit wie nie“, sagt er. Und: „Wir laufen jetzt mehr als vor meiner Zeit.“

Das mag ja sein. Nur wohin laufen sie? Der HSV steht am Abgrund. Jetzt sind Leute gefragt, die sich noch wehren wollen und endlich wie Profis zur Sache gehen. Schöne Worte, verniedlichende Kommentare zur prekären Situation ändern nichts mehr. Allein eine leidenschaftliche Einstellung seiner Spieler zum Beruf des Profifußballers kann dafür sorgen, dass Bert van Marwijk als Trainer kein Missverständnis wird.

Dieter Matz, Abendblatt-HSV-Experte und Blog-Vater („Matz ab“), mit seiner aktuellen Freitags-Analyse

Die HSV-Kolumne „Matz ab“ finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab