Hamburg weiß jetzt, wie und wo es entstand – und sollte daraus Konsequenzen ziehen

Na und? Da kommen Wissenschaftler nach eineinhalb Jahren Grabung und sieben Jahren Auswertung mit der Erkenntnis um die Ecke, dass eine längst bekannte, uralte Burganlage doch nicht ganz so uralt ist. Und deswegen handele es sich um die Hammaburg, die also auf dem Domplatz stand und nicht etwa 500 Meter weiter nördlich oder westlich. Manche werden wohl den Kopf schütteln und sagen: na und? Was hat das mit mir zu tun, was hier vor 1200 Jahren war?

Diese Ansicht kann man vertreten. Denn natürlich hat es nicht die geringste Auswirkung auf unser Leben im Jahre 2014, dass man nun exakt weiß, wo sich die Keimzelle Hamburgs befindet. Ist die Entdeckung also jenseits der archäologischen und historischen Forschung ohne Relevanz? Oder ist es auch für uns postmoderne Vertreter des digitalen Zeitalters von Bedeutung? Na und ob!

Die Geschichte einer Stadt hat etwas Identitätsstiftendes. Und je mehr Details dem Dunkel der Vergangenheit entrissen werden können, je klarer die Entwicklung von einem befestigten Marktflecken zur Millionenstadt wird, desto stärker wird dieser Effekt. Geschichte und ihre Erforschung sind etwas ungeheuer Faszinierendes. Allein die Arbeit der Archäologen zieht einen unweigerlich in ihren Bann. Voller Enttäuschung waren sie im Dezember 2006 vom Domplatz abgezogen, weil sie nichts Spektakuläres hatten finden können. Doch die paar Scherben, Holzkohlereste und neue Fragmente einer längst bekannten Befestigungsanlage reichten schließlich doch aus für eine sensationelle Entdeckung – das Ergebnis von ungeheurem Fleiß, sehr viel Geduld und großer Akribie.

Was wir jetzt kennen, ist gewissermaßen die DNA dieser Stadt, die auf den Resten einer altsächsischen Befestigungsanlage entstanden ist. Eine Stadt der Händler und Kaufleute, der Fischer und Seeleute, die sich weder von Wikingern noch vom westslawischen Stamm der Abodriten vertreiben ließen. Die ihre Stadt nach Überfällen und Zerstörung, nach Pestepidemien und verheerenden Feuern immer wieder aufbauten.

Die Hamburgische Geschichte zeigt auch, und zwar weit stärker als in anderen Städten, wie sehr der Mensch die Natur verändert hat. Von den natürlich mäandernden Flüssen Alster und Bille ist kaum etwas übrig, aus ihnen wurden Stauseen und Fleete. Ein durchaus hügeliges Gelände wurde eingeebnet. Schon vor der Jahrtausendwende haben die Hamburger Deiche gebaut, um sich vor dem damals schon steigenden Meeresspiegel und den Fluten zu schützen.

Hamburgs Historie ist wahrlich reich an Überraschendem, Spannendem und – tatsächlich – Lehrreichem. Was man heute Globalisierung und Migration nennt, ist nicht mal halb so aktuell, wie es scheint. Schon im 10. Jahrhundert ist der Handel mit dem Kalifat Bagdad nachweisbar. Mit Slawen, Briten, Franken, Dänen, Norwegern sowieso. Fremde Menschen mit neuen Ideen kamen schon damals und haben die Entwicklung forciert. Und immer wieder waren es „Migranten“, die für Innovationsschübe und Wachstum gesorgt haben: Holländer und Franzosen, Briten und Polen.

All dies begann vor 1200 Jahren in ein paar Hütten hinter einem Palisadenzaun und einem Graben. Und es macht einen großen Unterschied, ob dieser Ort „irgendwo in der Altstadt“ ist oder eben exakt im Südwesten des Domplatzes. Denn Erinnerung braucht einen Ort. Und mit der Entdeckung der Hammaburg steht Hamburg auch vor der Aufgabe, diesen Ort zu gestalten. Es sollte schon etwas mehr als eine Tafel sein, die auf die Bedeutung hinweist. So stellt sich die Frage nach der Zukunft des Domplatzes neu. Es muss ja nicht gleich ein ganzes Museum gebaut werden – aber einen würdigen Ausstellungsraum sollte sich Hamburg an seiner Geburtsstätte schon gönnen.