Mit Mitte 30 ist man im Fußball alt, mit Ende 20 ein Routinier. Über die Schönheit eines unterschätzten Begriffs

Es gibt einen Moment im Leben jedes Fußballers, der so einschneidend ist, dass man sich als Sportjournalist jedes Mal eine Notiz in seinem Kalender machen müsste – es ist der Moment, in dem aus dem Spieler Müller oder Meyer ein Routinier wird. Meist passiert es, wenn der Fußballer um die 28 ist, aber grundsätzlich kann man es nicht sagen, es ergibt sich meist aus dem Zusammenhang.

Spieler wie Carsten Ramelow und Christian Wörns hatten wahrscheinlich schon in den frühen 20ern die Aura eines Routiniers, und als bei meinem ersten Einsatz als Fußballreporterin ausgerechnet Carsten Ramelow nach dem Spiel stehen blieb und geduldig auf meine Fragen antwortete, fanden die Routiniers in der Redaktion das im Nachhinein wahnsinnig komisch. Ich hab einfach mal mitgelacht.

Seitdem frage ich mich, wie diese Bezeichnung entstanden ist. Meine Theorie: Nach Jahren der Superlative, Synonyme und seltsamen Spitznamen ist irgendwann nur noch der Routinier als begriffliches Sammelbecken übrig. Allerdings findet auch der natürliche Lebensstrom „Talent – Leistungsträger – Routinier“ nach wenigen Jahren ein jähes Ende: Er mündet in den rauen Wassern der Altliga. So ist sie, die Sprache des Sports: unmissverständlich und maximal politisch unkorrekt. Im Fußball ist man mit Mitte 30 alt, fertig aus.

Die Altliga ist dann wiederum jene Liga, in der Spieler teilweise über Nacht Wunderheilungen erleben, von denen die Spielerfrauen am nächsten Morgen mit ehrlichem Erstaunen berichten. Wochenlang hatte der Mann nur unter Schmerzen auftreten können – eine Prellung aus dem letzten Pokalspiel. Dann zu Silvester mit dem anderen Knöchel umgeknickt. Resigniertes Abwinken am Vorabend des großen Hallenturniers: Kann die Mannschaft sich abschminken. „Und heute spielt er das ganze Turnier durch, das ist doch erstaunlich“, solche Sätze hört man dann bei Frikadellen mit Nudelsalat, abseits des Spielfelds.

Die Altliga ist außerdem die Liga, in der die Knorpelschäden kommen, die Spitznamen aus der Jugend aber bleiben. Vielleicht ist das sogar das Herrlichste am Fußball. Vorige Woche, als in Fünfhausen das Hallenturnier des SC Vier- und Marschlande ausgespielt wurde, bestand die Anfangsformation einer der Altligamannschaften aus Mörtel, Strähne, Beate und Chuck; im Tor stand ein mir unbekanntes Mittelgebirge. Solche Namen, die kann sich kein Filmemacher ausdenken. Solche Namen schreibt nur der Amateurfußball. Nicht zuletzt ist die Altliga aber auch die Liga, in der sich plötzlich Zentralmassive aufbauen, die sich erst beim zweiten Hinsehen als Torhüter entpuppen – ist halt ein bisschen was um die Hüften dazugekommen in den Jahren. Das ist aber nicht weiter schlimm. Die Abwehr kann man sich trotzdem noch zurechtbrüllen, und die eine oder andere Parade hält die olle Trainingshose bestimmt noch aus. Wenn nicht, kann man zwischen den Turnieren immer noch der Ehefrau einen vorhumpeln.

Da unterscheiden sich die Akteure in der Altliga nämlich gar nicht so sehr von noch aktiven Routiniers: Jede Verletzung ist auch gleichzeitig ein Angriff auf die Männlichkeit, es sei denn, sie ist im Kampf entstanden und wurde noch auf dem Platz mit so viel Eisspray behandelt, dass man es mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Bank zurück schafft. Noch besser: Man wird auf zwei Mitspieler gestützt dorthin geschleift. In so einem Fall sind Verletzungen natürlich Heldengeschichten.

Der Ischias-Nerv ist keine Heldengeschichte. Wer in der Altliga Ischias hat, der schiebt am besten eine Konfirmation der Kinder vor oder den 65. Geburtstag der Schwiegermutter; zur Not, aber wirklich nur zur Not Musicalkarten in einer anderen Stadt.

Der italienische Nationaltorhüter Gianluigi Buffon konnte all das während der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika natürlich nicht – er musste noch während des ersten Spiels der Italiener ausgewechselt werden. Ischias.

Für den Rest der Vorrunde fiel er aus, die Squadra Azzurra musste die WM ohne einen einzigen Sieg nach drei Spielen verlassen. Eine Riesentragödie war das, aber damit nicht genug: Es war ein Beispiel dafür, wie ein einziges Turnier einen normalen Torhüter in wenigen Minuten zum Routinier gemacht hatte.