Die Demonstrationsfreiheit ist ein geschütztes demokratisches Grundrecht. In Hamburg geht es gerade zu Bruch.

Auch Hamburg hat sein Bermudadreieck. Anders kann man das verfahrene Verhältnis zwischen Polizei, Politik und Demonstranten nicht mehr bezeichnen. Seien wir ehrlich: Zu bestimmten Themen wie Gentrifizierung, Flüchtlinge oder Rote Flora ist eine friedliche Demonstration kaum noch möglich, ohne dass sie absehbar in bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen mündet. Dass die Fronten völlig verhärtet sind, zeigt sich jetzt bei der Aufarbeitung der Demonstration am 21. Dezember und den Angriffen auf Polizeibeamte. Diese Verkrustung wird zur Gefahr – nicht nur für Polizisten und die an Kummer gewöhnten Anwohner St. Paulis. Sondern für jeden, der sich für oder gegen die Baustellen der Hamburger Politik engagieren will.

Hamburgs Bermudadreieck hat viele verschiedene Ursachen. Zum einen: In unserer Gesellschaft gibt es eine wachsende Zahl von Menschen (und nicht nur Linksautonome), für die Randale zum Freizeitvergnügen geworden ist. Sie nehmen Demonstrationen, aber auch Fußballspiele oder Großevents als willkommene Anlässe, sich den Ordnungskräften entgegenzuwerfen und den Kick einer Mega-Saalschlacht zu erleben. Am nächsten Tag sitzen die Krawalljunkies wieder im Büro am Schreibtisch und schicken sich YouTube-Filmchen über ihre Abenteuer. Sie verstecken sich in der Masse und betrachten den Schaden, den sie anrichten, mit infantiler Ignoranz.

Zum zweiten: Die Protestbewegungen selbst sind blinder geworden. Ihnen fehlt jeder Selbstschutz, um sich gegen die Instrumentalisierung ihrer berechtigten Anliegen zu wehren. Bei SPD- oder DGB-Demonstrationen erledigten so etwas eigene Ordner, die Störer mit beherztem Griff aus den Reihen entfernten und nicht zuließen, dass aus einem Demonstrationszug heraus Scheiben eingeworfen oder Autos beschädigt wurden. Heute demonstrieren basisdemokratische Initiativen, die offenbar weder den Mut noch die Konsequenz haben, sich deutlich von Autonomen und ihren Reisekadern abzugrenzen. Diesen Vorwurf müssen sich leider auch diejenigen Gruppen gefallen lassen, die friedlich gegen Abschiebungen oder für mehr billigen Wohnraum auf die Straße gehen.

Zum dritten: Hamburgs sogenannte Linksautonome zementieren ein Polizei-Feindbild, das aus vordemokratischen Zeiten stammt – Weimar, Bakunin und die Parolen des bolivianischen Befreiungskampfs lassen grüßen. Aber wen eigentlich und wozu? „Links“ war gestern: Wenn in der Schanze heute die schwarzen Blocks aufziehen und etwas von „Capitalista“ brüllen, sind das nicht Arbeitslose oder Krisenverlierer, sondern politisch Entwurzelte. In ihrer Denke ist kein Platz dafür, dass auch Polizisten gegen Gentrifizierung sein könnten.

Aber die Polizei, viertens, spielt mit. Warum lässt sie sich seit Jahren kraftmeierisch auf Straßenschlachten ein? Gibt es keine Alternativen? Wer je zwischen den Blöcken gestanden hat, in Rauchschwaden und infernalischem Lärm, weiß: Solche zugespitzten Konfrontationen sind die sicherste Quelle von Angst, Überreaktionen und Einsatzfehlern, beim legendären „Hamburger Kessel“ 1986 wie auch am 21. Dezember 2013. So geraten friedliche Demonstranten zu potenziellen „Aggressoren“, sogar zu „Abschaum“ (so ein Polizeigewerkschaftler); ganze Stadtteile werden zu „Gefahrenzonen“ erklärt. Militante nehmen die Eskalation zum Anlass, einzelne Polizeibeamte anzugreifen. In dieser Gewaltspirale geht eines völlig unter: das ursprüngliche Ziel, eine legale Demonstration zu schützen.

Denn die Polizei kann nicht richten, was – fünftens – die Politik seit Langem versäumt hat: einen konsequenteren Mieterschutz; eine humane Flüchtlingspolitik; eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit Flora-Bewohnern, die glauben, außerhalb des Systems zu stehen. Hier hat auch der jetzige Senat versagt. Und wir Bürger? Müssen wir in Familien, Schulen, Initiativen nicht mal über den Sinn der Demonstrationsfreiheit und den Wert des Gewaltmonopols reden? Im Dezember wurden 700 Demonstranten und mehr als 120 Polizisten verletzt – und ein Grundrecht für uns alle.

Irene Jung schreibt an dieser Stelle jeden Mittwoch über Aufregendes und Abgründiges im Alltag