Warum versteckt das Fernsehen die einzige seriöse Wissenschaftssendung im Nachtprogramm?

Kann nicht jemand mal Harald Lesch zum Bundesforschungsminister berufen? Harald Lesch, das ist dieser freundliche Naturphilosoph, Astro- und Plasmaphysiker mit der Harry-Potter-Brille, der Menschen mit Schlafstörungen im ganzen Bundesgebiet bestens bekannt ist. Im ZDF ist er in seiner Sendung „Frag den Lesch“ immer sonntags um 1.55 Uhr bis 5.10 Uhr morgens oder auf Bayern 3 in „alpha centauri“ zwischen elf Uhr abends und vier Uhr früh zu sehen, also zu Zeiten, wenn nur der härteste Kern unserer Wissensgesellschaft auf ist.

Der Mann hat sich um die Schließung der vielfältigsten Bildungslücken verdient gemacht und beantwortet letzte Fragen. Also genau die Art von Fragen, die man sich eben so stellt, wenn man nachts um halb vier nicht mehr oder immer noch nicht schlafen kann und keine Computerspiele spielen mag und zum Ordnen der jüngsten 700 Urlaubsfotos keine Lust hat. Zum Beispiel: Was passiert, wenn das Erdmagnetfeld verschwindet? Wie dünn war die Ursuppe? Wann begann die Zeit und wann hört sie wieder auf? Warum fällt der Mond nicht auf die Erde, und was, wenn doch? Und warum ist die Welt so, wie sie ist?

Harald Lesch ist in München Professor für Theoretische Astrophysik bei der Universitätssternwarte der Ludwig-Maximilians-Universität und lehrt außerdem Naturphilosophie. Er kann etwas, von dem die meisten Hochschullehrer nur träumen: allgemeinverständlich und unterhaltsam erklären. Das ist in einer akademischen Karriere wie der Jackpot im Lotto. Und für die Macher von Fernsehsendungen eine seltene, begehrte Naturbegabung.

Der WDR hat immerhin Ranga Yogeshwar. Wenn irgendwo Kometen-krümel auf die Erde fallen oder eine Windhose heranzieht oder ein Gecko senkrechte Wände hochläuft, muss Yogeshwar ran, unser Mann für die „Große Show der Naturwunder“. Er begann in den 80ern als Wissenschaftsjournalist bei dem legendären Jean Pütz, der in der „Hobbythek“ immer so schön erklärte, wie eine schiefe Ebene funktioniert. Mit der Zeit wurden Pütz' Sendungen dem WDR allerdings zu umweltkritisch.

Man setzte auf Infotainment: Da ist „Wissenschaft“ eben eine große Show, wie bei „Galileo“ auf ProSieben, wo es gar nicht um Natur, Physik, Chemie oder das Hinterfragen geht, sondern um den „Bundestorten-Contest“ oder „den größten Weihnachtsladen der Welt“ oder „Konsumgigant Haribo“. Wissenschafts-Shows sind eine Mischung aus den ersten beiden Wikipedia-Sätzen mit YouTube und „Schlag den Raab“, aber moderiert.

Kein Wunder, dass letzte Fragen mitten in der Nacht bei Harald Lesch anlanden. Er werde manchmal auf der Straße angesprochen, erzählt er: „Sie sind doch dieser Astrologe! Aus dem ZDF! Sagen Sie mal, dieser Andromeda-Nebel, kommt der nun auf uns zu? Was passiert denn dann?“ Oder: „Was ist denn nun mit den Außerirdischen, kommen die oder kommen die nicht?“ In der interaktiven Sendung „Frag den Lesch“ erreichen ihn auch Anfragen, wer eigentlich schuld am Aussterben der Mammuts war. Oder was er von einem Gerät halte, das Informationen über das Bio-Magnetfeld des Körpers sammeln und in Form von Spurenelementen zur Heilung von Krankheiten einsetzen könne. Lesch hat anhand dieser Frage ganz cool in 15 Minuten den Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft erklärt. In „Galileo“ hingegen hätte man wahrscheinlich das Wunder-Gerät erklärt, den Hersteller im Sonnenstudio interviewt und Michelle-Samira, 21, aus Hückeswagen (NRW) demonstrieren lassen, wie sie damit ihre Fußwarzen bearbeitet.

Lesch hat sogar einen eigenen Fan-Club, in Berlin. Der hat sich nach eigenen Angaben gegründet, „weil Harald Lesch hohes Wissen für uns Normal-Idioten einfach erklären kann“. Er ist quasi die lebende Inkarnation von Meyers Universallexikon in 15 Bänden, das früher bei Oma im Regal neben den Johannes-Mario-Simmel-Romanen stand, und kommt ganz ohne YouTube aus. Möglicherweise hat ein Teil der Bevölkerung nur seinetwegen eine genauere Vorstellung von Urknall, Sonnenflecken, Zentrifugalkraft, Biolumineszenz und Vulkanismus. Einer muss es ja schließlich erklären.