Brandgefährlicher Energiedeal: Die Kurden im Nordirak verkaufen Öl und Gas an die Türkei – um so ihre Unabhängigkeit zu gewinnen

Die Sicherheitsarchitektur im nah- und mittelöstlichen Raum steht vor erheblichen Veränderungen. Hatte erst vor wenigen Tagen ein Mitglied der saudischen Regierung zum ersten Mal die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass sich Saudi-Arabien atomar bewaffnen könnte, um dem regionalen Machtanspruch des Iran zu begegnen, und hatte Riad zudem erkennen lassen, dass es auf Abstand zu den USA gehen werde, so erklärten nun 49 Prozent der befragten israelischen Bürger in einer Umfrage, dass sich Israel lieber andere Verbündete als die USA suchen sollte.

Da sowohl Saudi-Arabien als auch Israel sicherheitspolitisch bislang weitgehend von den USA abhängig sind, könnten sich hier bedeutende Verschiebungen in der politischen Struktur der Region andeuten. Hinzu kommen jene Prozesse, die durch den zunehmend religiös befeuerten Bürgerkrieg in Syrien und das faktische Auseinanderbrechen des irakischen Staates als Folge des Sturzes von Diktator Saddam Hussein 2003 in Gang gesetzt wurden.

Zu den verheerenden Fehlentscheidungen des amerikanischen „Prokonsuls“ Paul Bremer hatte es nach dem Sieg der US-geführten Koalition im Irak gehört, die das Land beherrschende Baath-Partei sowie die riesige irakische Armee aufzulösen. Beide waren zwar die Stützen von Saddams Macht gewesen, zugleich aber auch die Säulen der irakischen Staatsstabilität. Der Abzug der US-Kampftruppen hat das Land wieder ins Chaos stürzen lassen. Derzeit nimmt die ethnisch motivierte Gewalt im Irak zwischen der Mehrheit der Schiiten, die überwiegend die politische Macht haben, und der früher herrschenden Minderheit der Sunniten, der auch Saddam angehörte, wieder erheblich zu. Im Norden des Irak ist derweil mit der „Autonomen Region Kurdistan“ fast schon ein eigener Staat entstanden – mit eigener Hymne, Flagge, Verfassung, Außenpolitik, Armee, eigenem Geheimdienst und eigenen Grenzübergängen. Die US-Regierung betrachtet jedoch nicht nur die anschwellende ethnische Gewalt im Irak oder den Bürgerkrieg im benachbarten Syrien als Gefahr für den labilen Staat Irak, sondern auch den wachsenden Direktverkauf von Öl und Erdgas durch die Kurden an die Türkei. Die Amerikaner und die irakische Zentralregierung haben es versäumt, rechtzeitig ein nationales Energiegesetz für den ganzen Irak zu verabschieden. Es gilt lediglich eine Regelung, wonach Bagdad 83 Prozent aus der Energieförderung zustehen und den Kurden 17 Prozent. Doch längst betreiben die Kurden eine unabhängige Energiepolitik, bei der es um Milliarden Dollar geht. Sie haben Förderungsrechte an US-Konzerne wie Exxon und Chevron, aber auch den russischen Giganten Gazprom vergeben, wie die „New York Times“ schrieb – insgesamt an 50 ausländische Firmen. Und sie liefern den enorm energiehungrigen Türken Öl und Gas per Lastwagen auf dem Landweg – womit sie Bagdad umgehen.

Die Türkei ist zu 70 Prozent von Energieimporten abhängig, auf dem enorm wichtigen Erdgassektor sogar zu 98 Prozent. Nach einem Abkommen mit den Kurden wird Ankara auf sechs potenziellen kurdischen Ölfeldern nach neuen Quellen suchen und jährlich 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas importieren. Im Oktober haben sich Kurden und Türken zudem auf den Bau einer zweiten Öl- und Gas-Pipeline verständigt. Doch Bagdad will eine derart unabhängige Energiepolitik nicht dulden.

Auch Washington geht davon aus, dass der Energiedeal Teil einer langfristigen kurdischen Strategie ist, die am Ende doch noch zu einem unabhängigen Kurdenstaat führen soll. Rund 30 Millionen Kurden gibt es auf der Welt – sie gelten als größtes Volk ohne eigenen Staat. Ihre Siedlungsgebiete liegen vor allem in der Türkei, im Iran, im Irak, in Armenien und auch in Syrien. Und dort haben die Kurden gerade im Norden einen Autonomiestatus angekündigt.

Seit 1984 lieferte sich die türkische Armee auch im Nordirak einen blutigen Krieg mit den kurdischen PKK-Rebellen. Seit einigen Jahren ist die Intensität dieses Konfliktes, dem mindestens 40.000 Menschen zum Opfer fielen, stark abgeflaut; die Kurden und der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan bemühen sich um Verständigung. Ein neuer Versuch der Kurden, einen eigenen Staat auf Kosten der Nachbarn zu installieren, könnte die Region jedoch noch weiter destabilisieren.