EU-Kommissar plant ein Plastikbeutel-Verbot. Wer nicht warten will, nimmt Baumwoll-Tragetaschen, notfalls auch mit Osterhasenmotiv

Lernprozesse brauchen immer ihre Zeit. In einer Generation haben wir gelernt, Müll zu trennen, jedenfalls die meisten von uns. In der folgenden kommt die Plastiktüte dran. EU-Umweltkommissar Janez Potocnik will Ernst machen und den Verbrauch einschränken.

Zunächst geht es um Tüten mit einer Stärke von weniger als 50 Mikron, das entspricht 0,05 Millimetern. Das sind die leichten, dünnen. Gegen Mülltüten, Beutel für die Hinterlassenschaft von Hunden oder schwerere Plastik-Einkaufsbeutel richten sich seine Pläne (noch) nicht.

Immerhin, es ist ein Anfang. Denn dass gerade die leichten Einwegtüten sich in der Umwelt, vor allem in den Meeren, zu einem ernsten Müllproblem entwickelt haben, wird niemand bestreiten. Bis sie sich zersetzen, dauert es Hunderte von Jahren, und die Bestandteile haben in der Nahrungskette der Meeresbewohner nichts zu suchen. Bei einer Untersuchung von Nordseevögeln hatten 94 Prozent der Tiere Plastik im Magen.

Zwar gehören die Deutschen mit 65 Tüten pro Kopf und Jahr im Vergleich mit Italienern oder Spaniern nicht zu den europäischen Groß-Verschwendern. Aber die Plastiktüte ist nun mal das Symbol der Wegwerfgesellschaft. Allein in Deutschland werden pro Minute 7000 Stück davon hergestellt, die alle irgendwann Müll werden. Diese Tütengebirge hinterlassen wir den künftigen Generationen.

Als Kind habe ich noch die Zeit der Einkaufsnetze erlebt. Wenn mich meine Mutter zum Konsum an der Straßenecke schickte, hatte ich nicht nur ein Heftchen für die Rabattmarken dabei, sondern auch ein Netz. Damals häkelte meine Großmutter eigenhändig Einkaufsnetze für die gesamte Familie. Beim Einpacken musste man aufpassen, dass kleine Gegenstände in die Mitte kamen, um nicht durch die Maschen zu fallen. In den 1960er-Jahren war Einkaufen noch eine vorausschauende und intellektuell anspruchsvolle Tätigkeit und kein Shoppen.

1961 gab das Kaufhaus Horten in Neuss die ersten Plastiktüten an seine Kunden aus, die „Hemdchentüten" genannt wurden, weil ihre Träger wie die eines Unterhemdes aussahen. Das war übrigens auch die Zeit der Nyltesthemden und der allgemeinen Kunststoffbewunderung; Eierbecher, Vasen, sogar Blumen, alles Mögliche gab es in Plastik. Firmen nutzten die Plastiktüte begeistert, um ihre Werbeaufdrucke billig in bisher werbefreie Zonen zu schicken.

Seither hat der Plastikbeutel nicht nur die Haushalte erobert, sondern schleichend auch die Alltagsgewohnheiten verändert. Die Tüte ermöglichte den taschenlosen Spontankauf – man geht einfach los, die Tüte gibt’s dann im Laden. In Boutiquen sogar umsonst. Die Tütenschwemme findet ihren Weg auf die Straße. Manche Menschen ohne Obdach bringen ihren gesamten Hausstand in ein paar Plastiktüten unter.

Als umweltbewusster Mensch müsste man die Amerikaner um ihre Packpapiertüten beneiden, die es in jedem US-Supermarkt gibt. Die haben allerdings keine Träger, und jeder weiß, wie es klingt, wenn unten die zu schweren Flaschen rausfallen. Das wirft viele neue Fragen auf. Müssen wir eine neue, flaschengerechte Papiertütenkultur entwickeln? Wie reagieren Papiertüten, wenn es regnet? Können die, wie früher, in Haftanstalten geklebt werden? Ich sehe die Resozialisierungsanhänger schon abwinken. Aber Tütenkleben ist schließlich nicht ehrenrührig. Jemand muss es ja machen. Papiertüten verbrauchen allerdings eine Menge Ressourcen an Holz und Wasser. Besser wäre, wir gewöhnten uns wieder das vorausschauende Einkaufen an. In den 80er-Jahren machten Umweltverbände schon einen Vorstoß mit dem Motto „Jute statt Plastik“. Die naturbraunen Jutetaschen sahen immer aus wie zweckentfremdete Nikolaussäcke.

Inzwischen gibt es bunt gestaltete Baumwoll-Einkaufstaschen. In unserem Haushalt gibt es mehrere, in denen wir immer unser Leergut zum Flaschencontainer bringen: eine mit einem farbenfrohen Aufdruck des Tadsch Mahal, eine mit niedlichen Schäferhundewelpen und eine mit einem lustigen Osterhasenmotiv. Die treffen geschmacklich nicht immer meine Tagesform.

Aber was tut man nicht alles für die Weltmeere.