Die Gräben zwischen erfolgreichen Staaten und Krisenländern vertiefen sich – die Kritik an der deutschen Exportstärke ist ein Indiz dafür.

Manchmal erinnert Europa an die Fußball-Bundesliga. In den Rankings und Wachstumstabellen zieht Deutschland derzeit Bayern-München-gleich einsam seine Kreise, während die Schlusslichter ums Überleben kämpfen. Die Partner, die einst in einer Liga spielen wollten, trennen heute Welten. Und mit den Unterschieden wächst der Zorn. Entweder man bewundert den FC Bayern oder man lehnt den Club aus voller Überzeugung ab. Deutschland geht es ähnlich. Inzwischen hat sich halb Europa auf den Seriensieger eingeschossen. Die Kritik: Seit Jahren exportieren die Unternehmen der Bundesrepublik zu viel. Die einen nennen es Leistung, den anderen ist es verdächtig.

EU-Währungskommissar Olli Rehn geißelte mehrfach die Exportfixierung Deutschlands. Die größte EU-Volkswirtschaft liegt seit 2007 bei den Leistungsbilanzüberschüssen über den vereinbarten Werten von sechs Prozent der Wirtschaftsleistung; 2013 dürften es sieben Prozent werden. Zu viel nach dem Geschmack der Brüsseler Bürokraten: Die EU-Kommission hat eine Prüfung angekündigt. Auch die USA, die derzeit keinem Streit mit Berlin aus dem Weg gehen, und der Internationale Währungsfonds sehen die deutsche Stärke mit Sorge. Deutschland gefährde nicht nur die Erholung der Euro-Zone, wütete das US-Finanzministerium, sondern gleich die gesamte Weltwirtschaft. Im Fußball gäbe es Strafstoß.

Auf den ersten Blick haben die erbosten Europäer wie der aufgebrachte Amerikaner recht. Der Überschuss des einen ist das Defizit des anderen. Nur übersehen die Kritiker, dass bis zur Finanzkrise die USA und gerade südeuropäische Länder gern und gut mit ihren Defiziten gelebt haben. Die niedrigen Zinsen infolge der Euro-Einführung wurden als Einladung zum Konsum missverstanden – übrigens in einer Zeit, als die Deutschen als „kranker Mann“ durch Europa wankten.

Zu Beginn des Jahrtausends galt Deutschland als „Schlusslicht“ in Europa. In Talkshows stimmten Professoren und Publizisten den Abgesang auf einen gefallenen Superstar an; und kaum ein ausländischer Regierungschef ging an einem Mikrofon vorüber, ohne den vermeintlich faulen und trägen Deutschen mahnend Reformen ans Herz zu legen.

Wider Erwarten setzte Kanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 dann die geforderten radikalen Reformen um. Diese Agenda 2010 hat Deutschland und seine Unternehmen stärker gemacht, einige sogar zu stark. Doch bei den meisten Branchen mutet das Mäkeln am Mitbewerber merkwürdig an, etwa im Maschinen- oder Fahrzeugbau. So ist VW derzeit sicherlich nicht auf den Weltmärkten besser als Peugeot, weil es Dumpinglöhne zahlt. Ganz im Gegenteil: Die deutsche Automobilindustrie ist erfolgreich, weil sie hohe Qualität und innovative Technik mit modernem Design verbindet – und weil die Sozialpartnerschaft Deutschland zu einem attraktiven Standort macht. Das gilt nicht überall.

Ein US-Manager nannte jüngst Investitionen in Frankreich eine „Dummheit“ und die dortigen Gewerkschaften „verrückt“. Die Angestellten seien faul und teuer, beschwerte sich der Chef eines großen Reifenherstellers. „Sie machen eine Stunde Mittag, quatschen drei Stunden und arbeiten nur drei.“ Geht es nur um die Stärke der Deutschen? Oder doch um die Schwäche der anderen? Die Bundesrepublik ist in Branchen wie dem Maschinenbau stark, die in besonderem Maße vom Wachstum in den Schwellenländern profitieren; während die Krisenstaaten oft von einem Wirtschaftszweig gelebt haben, der in der Globalisierung unter die Räder kam wie die portugiesische Textilindustrie. Aber es bewegt sich etwas in Europa: Während in Deutschland die Lohnstückkosten steigen, gehen sie in den Krisenländern zurück.

Trotz der unverständlichen Kritik liegt Kommissar Rehn nicht ganz falsch. Er fordert Deutschland auf, zur Stützung des Währungsraums die Binnennachfrage über Steuersenkungen anzukurbeln, mehr Geld in die Infrastruktur zu stecken und die Niedriglöhne zu erhöhen. Deutschland, und das ist unumstritten, muss endlich mehr investieren – zuletzt lag die Bundesrepublik hier deutlich unter dem Durchschnitt.

Möglicherweise aber erledigt sich das Problem der Stärke Deutschlands auch ganz anders: Verwirklichen die Strategen der Großen Koalition ihre Ideen von Steuer- und Rentenerhöhungen, dürfte es bald automatisch abwärts gehen. Denn Deutschland ist nicht der FC Bayern, eben auch, weil Merkel und Gabriel eher wie das HSV-Management regieren…

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne „Hamburger KRITiken“ jeden Montag Hamburg und die Welt