Aller Aufklärung zum Trotz vertrauen viele Deutsche Glücksbringern, Unheilsboten und Übersinnlichem

Neulich habe ich mich dabei ertappt, dass ich dreimal auf einen Holztisch klopfte. Ich drücke anderen auch die Daumen. Nicht weil ich Daumen oder Holz besondere Kräfte zutrauen würde (Furnier gilt schon gar nicht), sondern weil solche Gesten einfach in unsere Alltagskultur hineingewachsen sind. Wie lebendig ist der Aberglaube in unserer Gesellschaft überhaupt noch?

Das wollte der Sender 3sat vorige Woche in einem Themenschwerpunkt erkunden. Nach der Zuschauerumfrage „Woran aberglauben Sie?“ kamen auf die ersten fünf Plätze: Bauernregeln, Glücksbringer, Zahlen, Kraftfelder und Telepathie. Das ist ein populärer Mix aus Traditionen und Esoterik. Zwar gilt die 13 landläufig immer noch als Unglückszahl (vor allem Freitag, der 13.) und wird am seltensten im Zahlenlotto getippt. Aber vierblättriger Klee als Glücksbringer wird heute gezielt gezüchtet, womit man die Wirkung des magischen Zufalls natürlich abgeschafft hat. Und warum sollen ausgerechnet schwarze Katzen Unglücksboten sein?, fragt sich der moderne Mensch, während man grau gestreifte oder rot getigerte Katzen einfach außer Acht lassen soll? Stattdessen finden heute mehr Menschen das Pendeln interessant, das hat man noch selber in der Hand. Oder individuell fühlbare Kraftorte, die sind beim heutigen Berufsstress offenbar besonders nötig. Putzig ist nur die anhaltende Affinität zu Bauernregeln, obwohl nicht mal ein Zehntel der Deutschen von der Land- und Forstwirtschaft lebt und ständig Angst vor Unwettern und Missernten haben müsste.

Auch die Ausprägungen des Aberglaubens unterliegen also einer Konjunktur. Aber sein Kern offenbar nicht: Das Spiel mit dem Wunderglauben hat die Aufklärung, den Aufbruch der Wissenschaften, die Entdeckung der Antibiotika, Weltwirtschaftskrisen und zwei Weltkriege überstanden. Kriege und Krisen haben es sogar gefördert. Nach jedem Weltkrieg zum Beispiel häuften sich Berichte über Gedankenübertragungen wie dieser: Im selben Moment, als der Soldat an der Front verwundet wurde, hätte seine Mutter zu Hause die Schüssel fallen lassen und gerufen: „Jetzt ist ihm was passiert, ich habe ihn rufen hören.“ In der Nachkriegszeit beziehen sich solche (Vor-)Ahnungen mehr auf Krankheiten mit Lebensgefahr, ergab eine Zeitungsserie mit mehr als 1500 Zuschriften. Beispiel: Einen 13-jährigen Jungen befällt in der Schule plötzlich Unruhe, er rennt nach Hause und kann gerade noch die Mutter nach einem schweren Herzanfall retten. Neben solch eindrücklichen Grenzerfahrungen gibt es nach wie vor das weite Feld des „kleinen Aberglaubens für zwischendurch“: den Lieblingstalisman, das Tageshoroskop oder eben die Glückszahl.

Seit 1950 erforscht das Freiburger Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP), wie Menschen mit Aberglauben oder „übersinnlichen“ Erlebnissen umgehen. Eine Erkenntnis der Forscher ist: Die weitaus meisten Menschen suchen eher spielerisch nach der Magie im Alltag; eigenartige Erlebnisse deuten sie heute nicht mehr religiös oder als besondere „Gabe“, sondern erklären sie eher realitätsgerecht und lebensweltlich, zum Beispiel als psychische Reaktion auf einen Verlust. Sie erzählen davon aber nur in einem „geschützten Raum“, also in der Familie oder einem Vertrauten. Niemand will als Spinner dastehen. Der Druck der modernen Wissensgesellschaft lässt keinen Raum für „Sonderwelten“. Wir alle sind darauf geeicht, zwischen Fakten und Fiktion eine klare Trennlinie zu ziehen. In Afrika gehören zu einem Gottesdienst noch Erweckungserlebnisse oder eine anständige Wunderheilung. Bei uns sind Wunder aus der Religion ab- und eher in Naturerlebnisse hineingewandert.

Trotzdem antworteten 56 Prozent der Teilnehmer einer Allensbach-Umfrage 2006 auf die Frage „Glauben Sie an Wunder?“ unbeirrt mit Ja. Die Bereitschaft, für „übersinnliche“ und wundersame Erfahrungen im eigenen Leben offen zu sein, ist offenbar menschheitsbegleitend. Die ganz großen Wunder überlassen wir allerdings ganz selbstverständlich und rational der Politik – etwa den Weltfrieden, die Bekämpfung des Hungers oder das Abstellen der NSA-Spähprogramme. Die stemmt wohl selbst das stärkste Kraftfeld nicht.