Die Welt wird komplexer, die Antworten werden einfacher. Radikale Parteien sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch

Wer in den vergangenen Wochen Nachrichten las, konnte sich wahlweise wundern oder gruseln. Wundern darüber, welche seltsamen Gestalten in den Demokratien derzeit nach oben gespült werden. Und gruseln über das selbstzerstörerische Element, das diesen Bewegungen innewohnt. Die angeblichen Patrioten der Tea Party in den Vereinigten Staaten etwa nehmen lieber die Pleite ihres Landes in Kauf, als nur ein Jota von ihren radikalen Positionen zu räumen.

Doch bevor man mit dem Zeigefinger auf die USA weist, sollte man nicht vergessen: Vier Finger der Hand weisen auf uns zurück. Auch in Europa sind Populisten und Separatisten, Kommunisten und Nationalisten auf dem Vormarsch. In annähernd allen Nachbarländern haben diese Parteien zuletzt zulegen können. Die Europawahl im Mai dürfte ein böses Erwachen bringen. EU-Kommissar Günther Oettinger fürchtet schon, ein Drittel der Sitze könne an Europakritiker fallen. Wenn das mal reicht.

Eine Tour d’Horizon zeigt die Beschränktheit: Gleich in den Niederlanden kommt die Partei der Freiheit des Populisten Geert Wilders in Umfragen auf 20 bis 25 Prozent. Seine One-Man- Show ist dürftig und hat eigentlich nur eine Botschaft – die des Dagegen. Er ist der Kämpfer gegen das linksliberale Establishment, ist gegen Zuwanderung und den Islam und will sogar den Koran verbieten. Eine Schwester im Geiste ist Marine Le Pen von der Front National in Frankreich. Sie ist stolz, eine Populistin zu sein, weil sie sich als echte Volksvertreterin fühlt. Nach aktuellen Umfragen könnte sie mit 25 Prozent stärkste Kraft in Frankreich werden.

In Österreich errang die FPÖ bei den Nationalratswahlen Ende September 20,5 Prozent. Sie alle spielen mit den Ängsten vor der Euro-Krise, dem wirtschaftlichen Abstieg, vor einer schleichenden Überfremdung, vor einem rasanten Wandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der viele überfährt und überfordert. Die Populisten versprechen viel und schieben die Schuld an jeder Fehlentwicklung den etablierten Parteien zu, denen da oben. In Italien konnten sich viele Wähler nicht zwischen zwei Clowns entscheiden, dem Komiker Beppe Grillo und dem Scharlatan Silvio Berlusconi: Sie bekamen im Februar 2013 zusammen eine absolute Mehrheit der Stimmen, Grillos Fünf-Sterne-Bewegung errang 25,6 Prozent, Berlusconi sogar 29,2 Prozent. Selbst im putzigen Südtirol kommt die deutschsprachige Rechte unter dem Banner Los von Rom zusammen schon auf auf 27 Prozent. In Belgien wächst die offen fremdenfeindliche Partei Vlaams Belang, die für die Unabhängigkeit Flanderns kämpft.

Selbst in Skandinavien, das viele Deutsche gern als besseres Europa verklären, haben die Populisten längst die Parlamente geentert: Die Schwedendemokraten gewannen bei den letzten Wahlen 5,7 Prozent, die Wahren Finnen landeten knapp unter zehn Prozent, die Dänische Volkspartei deutlich darüber. In Osteuropa sind rechtspopulistische Parteien seit Langem auf dem Vormarsch.

Zeitgleich gewinnen auch Linksradikale und Postkommunisten. Am 25. Mai ist Europawahl. Weil die Wahlbeteiligung hier stets niedriger liegt als bei nationalen Parlamentswahlen, Protestwähler aber gern ihren Unmut in die Urne werfen, dürfte Oettinger recht behalten. Man muss nicht so weit gehen wie der holländische Literat Leon de Winter, der im Aufschwung der Populisten einen „Indikator für das Ende eines glorreichen Kapitels der europäischen Geschichte: der repräsentativen Demokratie“ sieht, aber er ist ein Warnzeichen. Populismus, in den fetten Jahren Europas eine Randerscheinung, ist auf dem Vormarsch. Und die modernen Zeiten mit ihrer Unübersichtlichkeit spielen Populisten in die Hände – die tummeln sich auf der linken Seite genauso wie auf der rechten. In Zeiten des digitalen Wandels verkümmert der politische Streit zur Facebook-Demokratie. Politik wird radikal vereinfacht: Entweder es gefällt – oder es gefällt eben nicht. Zwischentöne sind nicht mehr erlaubt, sie werden nicht einmal mehr wahrgenommen. Es reicht eine Überschrift, und die Lemminge laufen los und hinterlassen einen Shitstorm.

Ralf Dahrendorf hat einmal gesagt, die Demokratie sei kompliziert, Populismus simpel. Die europäische Öffentlichkeit, Politik, Wirtschaft, Medien, muss Europa erklären und den Vereinfachern entgegentreten. Das ist schwierig genug. Aber noch viel schwieriger wird es, wenn die Vereinfacher gewinnen.