65 Jahre Abendblatt – ein Grund zum Innehalten

Es gibt nur wenige Momente in unserem Leben, die zum Innehalten veranlassen, das Heute in all seiner Hektik für ein paar Stunden beiseitezuschieben und sich in Erinnerung zu rufen, als alles einmal begonnen hat. An solch einem Tag können und sollten wir unseren Vätern und Müttern dafür danken, was sie für uns, die Heutigen, in einem geschlagenen Land in Jahrzehnten erschaffen und hinterlassen haben.

Als heute vor 65 Jahren das Hamburger Abendblatt zum ersten Mal erschien, war der Grundgedanke seines Verlegers Axel Springer nach den furchtbaren Kriegsjahren die Menschlichkeit wiederzuentdecken. Viele der Gründergeneration sind inzwischen von uns gegangen, doch die, die ihr folgten, sind diesem ungeschriebenen Artikel eins gefolgt. Das Hamburger Abendblatt wirkte in brisanten Situationen nicht mit der Keule, sondern in mäßigender Wortwahl. Den Schwachen zu helfen, den Starken und den Überlauten zur Mäßigung aufzurufen, das war immer der Wille der Redaktion dieser Zeitung.

Auch zu sagen und zu schreiben, was zu kritisieren ist, war nach der furchtbaren Vergangenheit, eine der wichtigsten Errungenschaften im westlichen Teil unseres Landes. Schauen wir heute auf die nahe und ferne Welt, können wir ohne Übertreibung sagen, in einem blühenden Land zu leben. Viele Menschen in ferneren Ländern blicken mit Neid auf uns, und wenn wir über manches klagen, dann auf höchstem Niveau.

Das Deutschland von heute ist für uns ein Glücksfall, von dem die Menschen in anderen Ländern nur träumen können. Wohlstand und Freiheit wirken auf die Menschen in der Ferne wie ein Magnet. Sie riskieren auf abenteuerlichen Fluchtwegen ihr Leben, um ein besseres Dasein ohne Krieg, Not und Verfolgung in ihren Sehnsuchtszielen verwirklichen zu können. Wie weit werden wir unsere Türen öffnen wollen?

Halten wir für einen Moment inne und denken an die Geschehnisse, die unser Leben kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges diktierten. Vor 65 Jahren, damals im Juni 1948, sperrte die Sowjetunion sämtliche Straßenverbindungen und Wasserwege zwischen Westdeutschland und West-Berlin. Die Teilstadt der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungsmächte sollte bis zur Kapitulationsreife ausgehungert werden. Das war der erste schwere Härtetest zwischen West und Ost. Doch die „Rosinenbomber“ haben obsiegt auf dieser ersten Stufe einer Leiter des Kalten Krieges, der mehr als vier Jahrzehnte währte – bis Moskau eine Zeitenwende heraufdämmern sah und kapitulierte.

Peter Kruse, 75, war von 1989 bis 2001 Chefredakteur des Hamburger Abendblatts