Der Triumph bei der Bundestagswahl sollte die Union nicht darüber hinwegtäuschen: „Tage wie dieser“ dürften künftig seltener werden

Man weiß nicht, was für einen anständigen Punkrocker schlimmer ist. Möchte man wie die Ärzte von Heino gecovert werden? Oder, wie es nun den Toten Hosen geschah, doch lieber von CDU-Fraktionschef Volker Kauder, wenn Generalsekretär Hermann Gröhe dazu auch noch ekstatisch zuckt? In der Wahlnacht mussten die Düsseldorfer jedenfalls verdammt tapfer sein. Aber das Wahlergebnis der Union, das die Partei in kohlsche Dimensionen trieb, brachte eben nicht nur die Verhältnisse zum Tanzen.

Die Musikauswahl sagt viel über die Union aus, die dieser Tage wieder Volkspartei ist. Sie singt eben nicht mehr die Nationalhymne oder „So ein Tag so wunderschön wie heute“, sondern „Tage wie dieser“ von den Toten Hosen. Und die Hosen sind längst auch keine echten Punkrocker mehr, sondern eher eine Mischung aus Stadionband und Schützenfestkapelle. Gemeinsam stehen sie für ein Land, das die alten ideologischen Lager längst überwunden hat und ein tolerantes geworden ist. Punk ist Pop ist Politik. Und Angela Merkel verbindet Stadion, Schützenfest und Punkmusik – als „Mutti“ hat sie natürlich für alle Verständnis. Und dementsprechend stolz sind die Landeskinder, wenn „Mutti“ überall eine gute Figur macht.

Das Wahlergebnis vom 22. September ist vor allem der Sieg der Angela Merkel. Sie hat die Union programmatisch geöffnet und für viele Deutsche wählbar gemacht. Aber der Triumph könnte schneller als gedacht zu einem Pyrrhussieg werden. Denn gleich an mehreren Fronten drohen auch abseits der schwierigen Koalitionsverhandlungen nun Niederlagen. Die größte Gefahr geht von der FDP aus. Merkel hat sie als Partner zu Tode gesiegt. In der Verweigerung einer Zweitstimmenkampagne, die in Niedersachsen nach hinten losgegangen war, hat sie das Ende von Schwarz-Gelb selbst herbeigeführt. Mehr als 1,77 Millionen Stimmen hat die CDU ihrem Partner abgenommen; wären es 100.000 weniger gewesen, die Koalition aus Union und FDP hätte problemlos weiterregieren können.

Das Scheitern der Liberalen dürfte weit über diese Wahl hinaus Wirkung zeigen. Momentan ist fraglich, welcher Zukunft die Liberalen in Deutschland entgegengehen, ja ob sie überhaupt eine haben. Klar ist nur, dass sich die Partei aus der Umklammerung der CDU befreien wird und befreien muss. Hans-Dietrich Genscher, 1982 ein Wegbereiter der Wende der FDP – weg von der SPD hin zur Union –, empfiehlt seiner geschockten Partei bereits die Annäherung an die Sozialdemokraten. So oder so: Die Union hat ihren ersten und liebsten Bündnispartner verloren. Ein Ersatz dafür ist nicht in Sicht. Weder Sozialdemokraten noch Grüne haben ein gesteigertes Interesse an der Zusammenarbeit mit der CDU.

Damit nicht genug. Auch wenn die Euro-kritische Alternative für Deutschland (AfD) mit 2,1 Millionen Stimmen knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert ist, muss die Union die Neulinge fürchten. Die Euro-Krise mag im Wahlkampf keine große Rolle gespielt haben, doch sie kann schnell als Spitzenthema zurückkehren. Wenn Griechenland das nächste Rettungspaket benötigt, wenn Spanien oder Portugal erneut Milliarden erbitten oder gar Italien oder Frankreich ins Taumeln geraten, schlägt die Stunde der Populisten. Die nächste Wahl rollt der AfD geradezu den roten Teppich aus. Am 25. Mai wird das Europäische Parlament gewählt, ein Urnengang, bei dem die Deutschen traditionell seltener wählen und die Hürde für den Einzug nur bei drei Prozent liegt. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass sich mit der AfD rechts von der Union eine weitere Partei im System etabliert und damit der Albtraum eines Franz Josef Strauß Wirklichkeit wird.

Und noch etwas sollte der Union zu denken geben: Der Merkel-Effekt überstrahlt die wahre Lage der CDU. Die ist trübe genug. Nur noch in vier Bundesländern (Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) stellt sie die Ministerpräsidenten, in Hessen ist die Lage verworren. Zum einen erschwert die rote Mehrheit im Bundesrat das Regieren massiv, zum anderen beraubt es den eigenen Nachwuchs auch einer Bühne, auf der sich Talente zeigen, ausprobieren und empfehlen können. Ein potenzieller Merkel-Nachfolger, der 2017 benötigt wird, muss sich also im Berliner Kabinett warmlaufen. Es mag mit Thomas de Maizière, Ursula von der Leyen oder David McAllister durchaus Kandidaten geben, aber nach den bizarren Bildern der Gesangseinlage von Volker Kauder am Wahlabend im Kreise der Union-Spitzen dürften viele Wähler Zweifel beschleichen. Gut möglich, dass nicht viele „Tage wie dieser“ folgen.