Spektakuläre Wissenschaft, wie jetzt in Wien, stellt den Menschen vor ein Dilemma

Das Wunder der Natur erleben Hirnforscher gerade bei einem Experiment, das unsereins den Atem kurz stoppen lässt: In einer gläsernen Laborschale lassen Wissenschaftler aus Wien Stammzellen zu einem menschlichen Gehirn heranwachsen, etwa bis zu einem Entwicklungsstand der neunten Schwangerschaftswoche. Von ihrem Erfolg wurden die Molekularforscher selbst überrascht. Die Körperzellen beeindruckten mit ihrer erstaunlichen Fähigkeit zur Selbstorganisation. Bei einer Gewebegröße von vier Millimetern stoßen sie allerdings an die Grenzen ihrer Existenz, mehr als Erbsenmaß erreicht das Gebilde nicht. Dafür fehlt ihm die nötige Versorgung durch Blutgefäße. Damit der Klumpen überhaupt im Labor existiert, werden ihm in einem rotierenden Bioreaktor Nährstoffe zugeführt. Ein funktionierendes Gehirn sieht anders aus.

Dennoch: Rechtfertigt das löbliche Ziel – in diesem Fall die Entstehung einer menschlichen Erbkrankheit des Gehirns nachzuvollziehen – tatsächlich ein medizinisches Experiment, das an Frankenstein erinnert? Haben die Forscher mit ihren Versuchen ethische Grenzen bereits missachtet? Und wo genau wollen wir eine rote Linie ziehen, die nicht überschritten werden darf? Fragen dieser Tragweite stellen sich mit jedem weiteren Forschungssprung auch bei anderen, ähnlichen Experimenten vor allem mit den Alleskönnern Stammzellen. Das aber macht ihre Beantwortung leider nicht einfacher.

Vorbehalte gegen medizinische Versuche, auch wenn sie „nur“ in Petrischalen ablaufen, sind besonders ausgeprägt bei Arbeiten an Organen, denen wir emotionale Eigenschaften zuschreiben, also Herz und Gehirn. Vergleichbare Experimente an Lunge oder Leber berühren uns offensichtlich weniger stark. Und aus berechtigten Gründen ist die Herkunft der für die Forschung so wichtigen Stammzellen per Gesetz streng geregelt, um eine menschliche Embryonenzucht zur Stammzelllieferung zu verhindern. Dennoch ist die Forschung mit vorhandenen, embryonalen Stammzellen erlaubt. Der Widerspruch offenbart das ganze Dilemma, in das sich der moderne Mensch mit seinen Forschungsmöglichkeiten manövriert hat.

Aus den Laborversuchen im Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien könnten neue Methoden entstehen, um angeborene Krankheiten zu entschlüsseln und wichtige Erkenntnisse aus Abläufen in frühen Zellstadien zu gewinnen. Ein bedeutsamer und unbedenklicher Schritt, um in der Bekämpfung bisher unheilbarer Leiden weiterzukommen.

Dennoch geht das nur in winzigen Trippelschritten. Die Euphorie, mit der manche Experten – auch mit Blick auf öffentliche Fördergelder – ihre Ergebnisse hinausposaunen, ist in vielen Fällen übertrieben und weckt Hoffnungen, die nur enttäuscht werden können. So wurden biologische Abläufe jahrzehntelang mit Experimenten an Mäusen belegt, ohne die ernüchternde Erkenntnis mit zu verbreiten, dass kaum zehn Prozent der Schlussfolgerungen letztlich dem Menschen zugute kommen.

Viel von dem als „Sensation“ verkauften Forscherwissen ist nicht mehr als ein winziger Erkenntnisstrang in einem unübersichtlichen Geflecht organischer Wechselbeziehungen. Die größten medizinischen Erfolge, die zu einer höheren Lebenserwartung geführt haben, gehen eher auf eine wirksame Bekämpfung von Krankheitssymptomen zurück, als dass sie die eigentlichen Ursachen der Leiden im Griff hätten. Vielleicht ist das Leben zu kompliziert, um in seiner Gänze rekonstruiert zu werden. Wie soll der Mensch je die wirren Wechselbeziehungen allein der 100 Milliarden Nervenzellen, die wir im Kopf haben, verstehen können? Die Grenzen jeder beeindruckenden Forschung setzt am Ende unser Gehirn selbst.