Früher machte man sich mit digitalen Selbstschutzmaßnahmen verdächtig. Heute fordert ausgerechnet der Innenminister dazu auf

Selbst wer sich Mühe gibt, hat es nicht leicht, mit den Enthüllungen im aktuellen Überwachungsskandal Schritt zu halten. Zusammen bieten das US-Programm Prism und das britische Tempora-Projekt mehreren Geheimdiensten unbeschränkten Zugang zu praktisch allen persönlichen Nachrichten, Telefonaten und elektronischen Erledigungen von Hunderten Millionen Menschen. Nun wurde aufgedeckt, dass auch der deutsche BND und womöglich sogar die Bundeswehr seit Jahren Zugang zur Prism-Technik haben.

Und die Bundesregierung?

Die wusste wahlweise von gar nichts, war schon immer von der Rechtmäßigkeit der Programme überzeugt, kann angesichts der transatlantischen Partnerschaft leider nichts daran ändern oder fühlt sich stellvertretend für alle Bürger durch die Überwachung rundum geschützt.

Nach seiner rätselhaften USA-Reise erklärte der Bundesinnenminister, die technischen Möglichkeiten zur Ausspähung existierten nun einmal, und deshalb würden sie auch genutzt. Die Bürger sollten am besten in Eigenverantwortung zur Verschlüsselungstechnik greifen.

Wen das stutzig macht, der ist damit nicht allein: Hieß es nicht jahrelang, wer verschlüssele und verschleiere, der bewege sich nicht „mit offenem Visier“, sondern sei feige und mache sich verdächtig? Technische Expertise zum Schutz der Privatsphäre auch vor staatlichen Stellen einzusetzen war verpönt, stattdessen wurde das Mantra „Wer nichts zu verbergen hat…“ gepredigt. Erleben wir ein Umdenken?

Mitnichten.

Angesichts der massiven und berechtigten Empörung in der Bevölkerung zieht sich der Innenminister lediglich auf seine letzte Verteidigungslinie zurück: Die Bespitzelung sei zwar ärgerlich, aber leider nicht zu ändern. Wer ein Problem damit habe, müsse selbst sehen, wie er sich schützt. Diese Aussage mag pragmatisch und plausibel klingen, aber sie ist blanker Hohn aus dem Munde eines Innenministers, dessen Aufgabe es ist, die Wahrung der Bürgerrechte in unserem Land sicherzustellen. Seine Argumentation erinnert an den „guten Rat“, Frauen mögen keine kurzen Röcke tragen, wenn sie Belästigung fürchteten. Das eigentliche Problem sind aber weder die Röcke noch die unverschlüsselten E-Mails. Das eigentliche Problem sind die Belästigungen und die unkontrollierte Spitzelei der Geheimdienste.

Trotz alledem sind Kenntnisse von der Wirkung und Funktionsweise von Verschlüsselungstechnik heute wichtiger denn je: SSL-Verschlüsselung für Internetseiten ist kein Hexenwerk mehr, sondern wird von vielen Programmen automatisch benutzt. Sie bietet einen guten, wenn auch keinen perfekten Schutz dagegen, beim Surfen belauscht zu werden. E-Mail-Kommunikation lässt sich wirkungsvoll mit echter Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützen – anders als im De-Mail-Verfahren der Bundesregierung mit eingebauter Hintertür.

Nicht zuletzt gibt es außerdem die Möglichkeit, einzelne Dateien oder ganze Datenträger zu verschlüsseln, sodass ihr Inhalt ohne den zugehörigen Schlüssel wertloser Datensalat ist. Diese und andere Grundlagen sowie ihre konkrete Anwendung auf dem eigenen PC werden zurzeit in ganz Deutschland auf sogenannten Cryptopartys gelehrt: digitale Selbstverteidigungskurse, organisiert von kundigen Bürgerinnen und Bürgern.

Aber all das darf aber davon ablenken, dass wir als Bürger die unkontrollierte Überwachung nicht hinnehmen dürfen. Wir müssen stattdessen Verantwortlichkeit von den Regierenden einfordern und auf den Grundrechten bestehen, die uns heimlich weggenommen werden sollten. Es liegt im Interesse einiger politischer Hardliner, dass jeder Bürger wie ein Verdächtiger behandelt wird, aber es ist keinesfalls alternativlos.

Dabei lohnt es sich, genau hinzuschauen: Die Taten der Regierungen der letzten zwölf Jahre sagen mehr als die empörten Worte, die wir derzeit hören.