Kaum eine Stadt bietet ihren Bewohnern so wenige Freibäder wie Hamburg. Das sollte man ändern. Ein Sommernachtstraum.

Ich gestehe: Im Schwimmbad kommt man auf dumme Gedanken. Es war im Süden der Republik, dort, wo die Sonne heißer und häufiger scheint und jede Kleinstadt, die etwas auf sich hält, ein Freibad hat. Kein superteures Schnicki-Schnacki-Bad mit Saunalandschaft, Thalasso-Terrain und Wohlfühlwelt, sondern ein bis zwei unbeheizte Becken, Sprungturm, Rutsche, Rasen drum herum und ein Imbiss mit fettigen Pommes. Das darf man alles schrecklich finden, miefig, piefig, vorgestrig. Rationale Finanzexperten dürfen ihre Rechner zücken und die Defizite eines jeden Freibades deklamieren, hippe Großstädter die Nase rümpfen über so etwas Altmodisches wie Freibäder. Und unterkühlte Hanseaten dürfen auf das Schietwetter verweisen.

Ja, es mag 1000 gute Gründe geben, warum Hamburg keiner weiteren Freibäder bedarf. Aber es gibt noch bessere Gründe, warum man mehr Wasser wagen darf. Nur wenige kollektive Erinnerungen einen die Generationen. Eine ist die Erinnerung an endlose Sommer, die sich wie in einem Brennglas an einem Ort bündeln – im Schwimmbad.

Wer von uns ist als Halbwüchsiger nicht nach der Schule ins Freibad geeilt, hat sein Handtuch ausgerollt und das Leben genossen? Hier wurden Freundschaften wie Liebschaften geschlossen und wieder beendet, das Wasser machte uns unbeschwert, hier verrann die Zeit, und erst als es dämmerte, packten wir unsere nassen Sachen. Mein Jugendzentrum war das Schwimmbad.

Das mag – einige Jahrzehnte älter und einige Kilo schwerer – inzwischen anders sein; aber für viele Altersgruppen und gerade sozial Schwächere bleibt das Freibad noch immer Zielort, Urlaubsort, ja Sehnsuchtsort. Nord- und Ostsee mögen nah sein, sie sind aber eben nicht für alle erreichbar.

In den 70er-Jahren gehörten Schwimmbäder noch zur Grundversorgung, heute haben sie eine Lobby wie Schützenvereine oder Taubenzüchter. Beeindruckendes Bürgerengagement wie bei der Rettung des Freibads Duvenstedt ist eben leider die Ausnahme, nicht die Regel. Ob es daran liegen kann, dass die Entscheider längst Jahresmitgliedschaften in teuren Fitnessclubs haben?

Als die DLRG mehr Bäder forderte, schüttelten viele den Kopf. Warum eigentlich? Angesichts steigender Zahlen von Badetoten könnte man auch andersherum argumentieren: Bäder sind die Bürgersteige der Schwimmer, sie sind notwendige Infrastruktur für die Fortbewegung im Wasser. Sie sind die Orte, in denen man die Kunst des Schwimmens erlernt. Und diese Orte sind in Hamburg rarer gesät als in den meisten anderen Kommunen.

Warum eigentlich werden Schwimmbäder sofort auf ihre Kosten reduziert, in einer Stadt, die sonst mit ganz anderen Summen hantiert? Ohne Achselzucken will eine Initiative zum Rückkauf der Energienetze zwei Milliarden Euro ausgeben, die Elbphilharmonie liegt aktuell bei 789 Millionen Euro, und das Schauspielhaus hat gerade einen Nachschlag in Höhe von vier Millionen Euro für den Umbau bekommen.

Es geht nicht darum, Sport gegen Kultur auszuspielen. Aber die Frage darf gestellt werden, warum Kultureinrichtungen oder eine Sozialbürokratie aus Verbänden, Institutionen und Gremien quasi Bestandsschutz genießen, während Sporteinrichtungen hingegen schnell unter Finanzierungsvorbehalt stehen. Die Alsterschwimmhalle heißt ironischerweise „Schwimmoper“. Warum behandeln wir sie nicht so?

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne „Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt