Deutschlands Fußballfrauen stehen vor dem sechsten EM-Triumph. Ihr größter Sieg aber ist der für ein neues Selbstbewusstsein vieler Frauen

Was für ein dramatisches Spiel! Mit ihrem Halbfinalsieg gegen Gastgeber Schweden hat die deutsche Frauenfußballnationalmannschaft das Finale der Europameisterschaft erreicht und kann nun zum sechsten Mal in Folge den Titel erringen.

8,2 Millionen Menschen sahen das Halbfinale live im ZDF – ein sensationeller Marktanteil von 29,9 Prozent für das Zweite. Gut möglich, dass die ARD, die am Sonntagnachmittag neben Eurosport das Finale übertragen wird, auf noch bessere Quoten kommt.

Schon den Viertelfinalsieg der deutschen Frauen gegen Italien hatten mehr als vier Millionen Fußballfans gesehen. Das Finale des Telekomcups zwischen dem FC Bayern München und Borussia Mönchengladbach, das zum gleichen Zeitpunkt stattfand, kam nur auf die Hälfte der Zuschauer.

Natürlich ist hierzulande das Interesse für Männerfußball bislang nicht mit dem für Frauenfußball zu vergleichen – auch wenn die Bundesliga der Frauen zu den besten der Welt gehört. Aber Frauenfußball ist inzwischen eine der am raschesten wachsenden Sportarten und hat zum männlichen Vorbild mächtig aufgeholt. Rund 6,7 Millionen Mitglieder gehören dem Deutschen Fußballbund an – etwa 1,1 Millionen davon sind Frauen. Von den 180.000 Mannschaften, die von den 26.000 DFB-Vereinen aufgestellt werden, sind rund 8600 Frauen- und Mädchenmannschaften. Das sind Zahlen, von denen andere Sportarten nur träumen können.

Es geht aber nicht nur um nackte Mitgliederzahlen. Es geht auch um die Qualität des Fußballspiels an sich. Wer die Spiele der Europameisterschaft in Schweden verfolgt hat, der konnte zum großen Teil anspruchsvollen, taktisch versierten und technisch feinen Fußball erleben.

Spitzenmannschaften der Frauen spielen inzwischen einen genauso gepflegten Fußball wie Männer. Ihr Spiel unterscheidet sich lediglich darin, dass er auf Grund biologischer Faktoren weniger körperlich ist.

Vor allem aber erreicht Frauenfußball mehr für die Gleichstellung von Frau und Mann als so manches Wahlprogramm. Mädchen, die auf dem Bolzplatz über Jahre gleichberechtigt mit den Jungs um den Ball kämpfen, werden sich auch in ihrem späteren Leben nicht auf Herd und Küche reduzieren lassen. Sportlerinnen entwickeln Selbstbewusstsein, wohl auch deshalb, weil sie beim Sport ihren Körper selbst erleben. Nicht zuletzt definieren Sportlerinnen sich oftmals eher über ihre Erfolge im Sport und weniger über ihr Aussehen.

Es mag ein Zufall sein, dass mit Schweden, Norwegen und Dänemark drei der vier Halbfinalisten bei der Fußball-Europameisterschaft Mannschaften sind, die aus skandinavischen Ländern stammten. Aber es fällt auf, dass sie aus Ländern kommen, in denen in vielerlei Hinsicht die Gleichberechtigung der Geschlechter Alltag ist. Nirgendwo auf der Welt ist beispielsweise bei Bezahlung und Beschäftigungsquote der Unterschied zwischen Frauen und Männern so gering wie in nordeuropäischen Ländern.

In Zeiten, in denen Fitness einen immer größer werdenden Stellenwert erhält, liefern Sportwissenschaftler ein weiteres Argument für den Frauenfußball. Experten der Universität Kopenhagen fanden in einer Studie heraus, dass Fußballerinnen bessere Cholesterin-, Puls- und Fettwerte sowie stärkere Knochen haben. Die Wissenschaftler hatten 24 Monate lang zwei Gruppen von Frauen beobachtet. Die Mitglieder der einen Gruppe spielten einmal in der Woche Fußball, die anderen gingen joggen.

Keine Frage: Frauenfußball hat hierzulande noch viel mit Vorurteilen zu kämpfen. Aber dass ein an und für sich harmloser ZDF-Spot zur Frauenfußball-EM, bei dem eine Fußballerin auf einer Waschmaschine sitzt, öffentliche Empörung auslöst und der Sender den Spot daraufhin zurückzieht, ist ein Indiz für Veränderungen in unserer Gesellschaft.

Man stelle sich mal vor, Moderator Michael Steinbrecher hätte vor einigen Wochen im ZDF-Sportstudio die beiden deutschen Nationalspielerinnen Nadine Angerer und Célia Okoyino da Mbabi mit einem Scherz wie dem von Wim Thoelke im Jahr 1970 begrüßt. Thoelke witzelte seinerzeit: „Decken, decken – nicht Tisch decken.“