Der belgische König wird auf Deutsch vereidigt – aber Ausländer und Einheimische schwören nicht auf die deutsche Rechtschreibung

Wer gehört hat, wie der neue belgische König am Sonntag seinen Amtseid nicht nur auf Französisch und auf Flämisch, sondern auch auf Deutsch abgelegt hat, schöpfte Hoffnung, dass unsere Muttersprache sogar jenseits der Grenzen der Bundesrepublik überleben wird. Die Rechtschreibreform von 1996 war kein Putsch einiger wild gewordener Germanisten, sondern die vertragliche Verpflichtung zwischen den deutschen Bundesländern, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und weiteren Staaten mit deutschsprachigen Bevölkerungsteilen, mit einer Neuregelung der deutschen Rechtschreibung die im Laufe der Zeit etwas aus dem Ruder gelaufenen Regeln des Jahres 1901 zu vereinfachen.

Niemand beherrschte die alte Rechtschreibung ohne Fehler. Der Breslauer Lehrer Oskar Kosog veröffentlichte 1912 ein Diktat mit allen amtlichen Fallen und Gemeinheiten, das bis heute niemand fehlerfrei geschrieben hat.

Damit soll nicht gesagt werden, dass es nach den neuen Regeln keine Schwierigkeiten mehr gibt. Aber die Reformer bemühten sich um mehr Systematik, ohne die zahlreichen Stolpersteine der deutschen Orthografie abgeschafft zu haben. Die in der vorigen Folge erwähnten Stolpersteine haben viele Fragen nach sich gezogen.

Häufig klingen einzelne Wörter gleich (homophon), haben aber eine unterschiedliche Bedeutung und Schreibweise. Mit Fieber bezeichnet man eine zu hohe Körpertemperatur, mit Fiber eine Muskel- oder Pflanzenfaser. Ein Lied kann man singen, während das Lid über dem Auge ohne „e“ buchstabiert wird. Ein Stiel ist ein Griff oder Stängel, der Stil jedoch die Einheit der Ausdrucksweise oder einer Kunstrichtung.

Der Leib ist ein Körper, der jedoch beim Brot oder Käse zum Laib wird. Sorgfältig müssen wir die Seite in einem Buch von der Saite auf der Geige unterscheiden. Wir können zwar andere Seiten aufschlagen, aber nur andere Saiten aufziehen. Er zeigte sich von seiner besten Seite, indem er eine ganz andere Saite seines Wesens zum Erklingen brachte.

Zusammensetzungen mit dem Substantiv Tod bekommen ein „d“: todblass, todernst, todkrank, todmüde. Es handelt sich dabei meistens um Adjektive. Verben entstehen bei der Zusammensetzung mit dem Eigenschaftswort tot und werden mit „t“ geschrieben: totarbeiten, totfahren, totlachen, totschlagen. Auch die Ableitungen von Ende haben ein „d“ (endgültig, endlich), während die Vorsilbe ent- ein „t“ benötigt: entflammbar, entkommen, Entscheidung.

Mit „t“ buchstabiert man „hoffentlich, gelegentlich, ordentlich, wesentlich, wöchentlich“, aber nicht morgendlich. Hier liegt eine tageszeitliche Analogie zu abendlich vor, und dem Abend wollen wir sein „d“ nicht nehmen. In allen Reportagen über Reisen in die Polargegend laufen Herden von Rentieren über den Bildschirm, die wir nicht mit Doppel-n schreiben dürfen, obwohl sie so rennen. Das Wort Rentier ist eine verdeutlichende Zusammensetzung zum Ren, einer Hirschart in Skandinavien.

Der letzte Tag des Jahres wird korrekt Silvester mit „i“ geschrieben, denn der Tagesheilige des 31. Dezember ist Papst Silvester I. (314–335). Vielleicht gibt es in irgendeinem Alpental einen Holzfällerbuben namens Sylvester mit „y“, aber der hat nichts im Kalender zu suchen. Achten sollten wir auch darauf, dass bei Libyen das Ypsilon hinten und bei Syrien vorn steht.

Wer in den Geheimdiensten zurzeit Held, Verräter oder Spion ist, ist offenbar selbst für die Kanzlerin schwer zu durchschauen. Klar bleibt nur die Orthografie. Ein Informand ist eine Person, die mit einer Sache vertraut gemacht wird, ein Informant jedoch jemand, der Informationen liefert.

Nicht verwechseln sollte man seit und seid; „seit“ ist eine Präposition (seit dem 1. Juli) bzw. Konjunktion (seit er das Haus verlassen hat), „seid“ jedoch eine gebeugte Form des Verbs sein: Seid nett zueinander! Heißt es eigentlich ich säe oder ich sähe? Die korrekte Schreibweise hängt von der Bedeutung ab: Das Verb säen im Sinne von „Saatgut ausbringen“ hat kein „h“. Mit „h“ schreibt man hingegen den Konjunktiv des Präteritums von sehen: Ich sähe es lieber, die Rechtschreibung wäre nicht so kompliziert.