Ein Forscher weiß, warum wir so gerne ins Wasser gehen: Wahrscheinlich lernte der Mensch in einem See den aufrechten Gang

Nichts ist so unterhaltsam wie ein Abend im Freibad. Überarbeitete Singles versuchen, zwischen wassertretenden Senioren ihre Muskelaufbau-Bahnen zu ziehen. Dazwischen üben ein paar Kinder unermüdlich Wassersalto – sind die immer noch hier oder nach dem Abendessen schon wieder? Mütter sammeln Badetücher ein, drei Freundinnen mokieren sich beim Schwimmen über irgendwelche unmöglichen Typen, und ein Pärchen guckt vom Beckenrand den Kaninchen zu, die auf der leeren Liegewiese ihre Abendmahlzeit mümmeln. Der Mensch kann vom Wasser gar nicht genug kriegen

Der Berliner Evolutionsbiologe Carsten Niemitz glaubt sogar, dass wir den aufrechten Gang überhaupt erst im Wasser gelernt haben. Alles sprach dafür, Vierbeiner zu bleiben, aber irgendwann müssen unsere frühen Vorfahren an einem See in Afrika entdeckt haben, dass es dort nahrhafte Muscheln, Schnecken und Fische gab. Und im Wasser stellten sie fest, dass der Auftrieb Beine und Rücken entlastet. Muscheln und Fische lieferten überdies die wertvollen Omega-3-Fettsäuren, die unser Gehirn dringend braucht.

Damit stellt Niemitz die alte Forschungsthese infrage, dass unsere Vorfahren ursprünglich auf Bäumen lebten und erst auf zwei Beinen stehen lernten, als sie nach einer Klimaveränderung über das hohe Savannengras gucken mussten. Bei Recherchen in Freibädern und Badeseen hat Niemitz Zeitdiagramme angelegt, die seine Annahme stützen sollen. Demnach verbringen Menschen von 100 Minuten nur zwei tatsächlich mit Schwimmen. Fünfmal länger waten oder stehen sie im Wasser herum, und die meiste Zeit lagern sie am Ufer, gucken anderen zu, essen, lesen oder plaudern. Das sind Mittelwerte. Kinder entfalten im Wasser eine erstaunlich längere Ausdauer, die sie bei Schularbeiten nie entwickeln, und Ältere sieht man auf Sylt knietief in den Wellen stehen, bis die Flut sie umhaut. Niemitz hat recht, wenn er sagt: Wasser ist für Menschen mehr als eine Erfrischung, es ist ein Lebensraum.

Aber war das immer schon so? Die alten Römer badeten nur in beheizten Becken oder warmen Quellen. Erwachsene gingen im Mittelalter höchstens ins Badehaus. Naturgewässer wie Flüsse und Meer erregten eher Furcht, schon weil unheimliches Getier darin lebte. Niemand wäre zu Luthers Zeiten auf die Idee gekommen, im Meer zu baden, sogar viele Seeleute konnten fatalerweise nicht schwimmen. Erst 1793 eröffnete der mecklenburgische Herzog Friedrich Franz I. auf Anraten seines Leibarztes das erste deutsche Seebad, Heiligendamm. Bis dahin ging nur ins Wasser, wer es musste.

Etwa zur gleichen Zeit wie die allgemeine Badelust entstand die Fotografie. Und die hielt fest, dass sich die Menschen das Wasser zum Vergnügen erst allmählich erobern mussten. Anfangs stiegen unsere Ururgroßeltern noch in bauschigen Badekleidern und Ganzkörperanzügen ins Nass. Als die „Berliner Illustrirte Zeitung“ 1919 Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske (beide SPD) in Badehosen in Haffkrug abbildete, fanden das viele frivol und skandalös. Das Foto „gewährt offengestanden einen recht unästhetischen Anblick“, nölte damals das „Göttinger Tageblatt“. „Oder will man etwa behaupten, dass die gedrungene, reichlich überernährte Figur des Herrn Reichspräsidenten und die eckige Hünengestalt des tüchtigen Noske etwas so Schönes sei, dass diese Bilder unbedingt der staunenden Nachwelt überliefert werden müssen?“

Auch heute ist nicht jeder, der beim Baden fotografiert wird, davon so begeistert wie der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping auf Mallorca mit Freundin Pilati. Die Kanzlerin jedenfalls ärgerte sich im April über Paparazzi-Fotos, die sie im Badeanzug zeigten. Trotzdem ist das Baden eine Kulturkompetenz geworden. Manchmal mit absurden Blüten: Kreuzfahrtschiffe tuckern mit Swimmingpools über die Weltmeere, und manche Badeseen brauchen Sauerstoffbelüftung, um die Badenden zu verkraften. Vor ein paar Jahren wurden sogar Unterwassergeburten propagiert. Ob Savanne oder See: Es lässt sich nicht bestreiten, dass der Mensch von einem Wesen abstammt, das einst aus dem Wasser an Land kroch – und irgendwann 440 Millionen Jahre später auf zwei Beinen wieder eingetaucht ist.