Der Vorstand der Hanseatischen Krankenkasse plädiert für eine behutsame Weiterentwicklung unseres Versicherungssystems

Rund 70 Millionen Bundesbürger sind in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. Die private Krankenversicherung (PKV) hat neun Millionen Menschen vollversichert. Dabei handelt es sich überwiegend um Beamte (47 Prozent) und Selbstständige (18 Prozent). 1,2 Millionen der Privatversicherten gelten als gut verdienende Arbeitnehmer, die im Laufe ihres Berufslebens die GKV in Richtung PKV verlassen haben.

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist charakterisiert durch einkommensabhängige Beiträge (Solidaritätsprinzip). Durch die staatliche Festlegung eines einheitlichen Beitragssatzes wurde den Kassen ab 2009 ein Großteil ihrer Finanzautonomie genommen. Das Geschäftsmodell der Privaten basiert auf der Bildung von individuellen Kapitalrücklagen, um die steigenden Kosten im Alter abzudecken (Altersrückstellungen).

Der Leistungskatalog der GKV ist vermutlich der umfangreichste in der Welt. Laut einer vor kurzem durchgeführten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach finden 82 Prozent der Bevölkerung unser Gesundheitswesen gut oder sogar sehr gut. 2006 wurde in den Niederlanden ein einheitlicher Krankenversicherungsmarkt durch Zusammenführung von GKV und PKV geschaffen. Die Bilanz ist ernüchternd: Die Reform hat zu vier großen Konzernen geführt. Die Krankheitskosten steigen stärker als in Deutschland und es steigt die Tendenz, aus eigener Tasche Privatbehandlungen zu bezahlen. Dennoch dient offensichtlich das in den Niederlande praktizierte Krankenversicherungssystem den Befürwortern einer so genannten „Bürgerversicherung“ quasi als „Blaupause" für eine radikale Systemänderung in Deutschland.

Der Begriff „Bürgerversicherung“ impliziert zunächst einmal nur, das alle Bürger sich unter gleichen Rahmenbedingungen versichern müssen. Also auch Beamte, Selbstständige und gut verdienende Arbeitnehmer. Als Ziele einer „Bürgerversicherung" werden genannt: mehr Solidarität, eine qualitativ bessere Versorgung und weniger „Zwei-Klassen-Medizin“ (Wartezeiten für Kassenpatienten). Dies soll erreicht werden durch eine stetig steigende Steuerfinanzierung, Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze (BBG), Beitragszahlungen auf Zins- und Mieteinnahmen, (schrittweise) Auflösung der privaten Vollversicherung, Einbeziehung der Beamten in die GKV.

Die Erreichung der genannten Ziele bedeutet: Eine stetig steigende Steuerfinanzierung führt dazu, dass der staatliche Einfluss auf die GKV zunimmt. Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und die Erhebung von Beiträgen auf Zins- und Mieteinnahmen führen nicht nur zu einer finanziellen Belastung gut verdienender Arbeitnehmer, sondern belastet auch oder gerade Bezieher mittlerer Einkommen mit einem bescheidenen Vermögen.

Die (schrittweise) Auflösung der PKV-Vollversicherung wäre für die niedergelassenen Ärzte mit drastischen Einnahmeausfällen verbunden. Heute bezahlen elf Prozent Privatversicherte 25 Prozent aller Arzthonorare. Würden aus den Privatpatienten plötzlich ganz normale GKV-Versicherte, beläuft sich der Einnahmeverlust je Arzt auf rund 45.000 Euro jährlich. Dieser kann kompensiert werden durch höhere Honorare von den KK oder eine Reduktion des GKV-Leistungskataloges bei gleichzeitigem Ausbau des privaten Zusatzversicherungsangebotes (z. B. Krankengeld, Zahnersatz). Das bedeutet entweder einen deutlichen Anstieg des Beitragssatzes oder Mehrausgaben der GKV-Versicherten für Zusatzversicherungen, sofern sie es sich leisten können.

Die Auflösung der privaten Vollversicherung, eine steigende Steuerfinanzierung und eine Reduktion des GKV-Leistungskataloges bedeutet die Abschaffung des System-Wettbewerbs zwischen privater und gesetzlicher Kasse und weniger Wettbewerb um bessere Leistungen. Daraus folgt weder eine ökonomische noch intellektuelle Begründung für Kassenvielfalt. Es wäre kein Zufall, wenn eine „Bürgerversicherung“ in eine staatlich gelenkte Einheitskasse mündet.