Die SPD feiert ihren 150. Geburtstag. Warum nur ist sie so verzagt?

Geburtstagsgeschenke hatte die SPD vom bekanntesten Meinungsforscher der Republik, Manfred Güllner, wohl nicht erwartet. Doch nicht einmal in der Jubiläumswoche blieb der wöchentliche Nackenschlag vom Forsa-Chef aus. Woche für Woche wirft der "Stern"-RTL-Wahltrend die Sozialdemokraten zurück, zerstört die zart keimenden Hoffnungen auf eine Trendwende. In der Geburtstagswoche sieht Güllner die SPD bei 24 Prozent, während die Union unter Angela Merkel auf 41 Prozent enteilt ist. Ein Wahlsieg von Rot-Grün scheint derzeit ähnlich wahrscheinlich wie die deutsche Meisterschaft für den HSV.

Die SPD befindet sich in einem Teufelskreis: Die Partei zweifelt an sich, und die Wähler glauben weder ihr noch ihrem Spitzenkandidaten. Damit erodiert das Vertrauen weiter. So verzagt, so suchend, so mit sich selbst beschäftigt sah man die Sozialdemokraten selten. Dabei hätte die SPD gerade in diesen Tagen allen Grund, stolz auf sich zu sein: Die Partei hat in den 150 Jahren ihres Bestehens das Land nicht nur verändert, sie hat es verbessert. Sie steht wie keine andere für die Durchsetzung von Arbeiterrechten, für Gleichberechtigung, für die Grundrechte. Sie stand als letzte Partei zur Demokratie, als die Nazis am 23. März 1933 den Weg in den Unrechtsstaat asphaltierten. Sie widerstand später den Lockrufen der Kommunisten, schloss ihren Frieden mit der sozialen Marktwirtschaft und wurde zu einem Stützpfeiler der jungen Bundesrepublik. Willy Brandt wagte eine neue Ost- und Entspannungspolitik, eine liberale Bildungspolitik eröffnete Zehntausenden Kindern aus bildungsfernen Schichten den Aufstieg. Und es waren die Sozialdemokraten, die vor zehn Jahren mutiger als jede andere Partei zuvor den wuchernden Sozialstaat zurückschnitten. Das deutsche Wirtschaftswunder dieser Tage gründet auf den Mut Gerhard Schröders zur Agenda 2010.

Eigentlich also könnten die Sozialdemokraten mit stolzgeschwellter Brust "Brüder zur Sonne", anstimmen, doch sie bleiben verzagt. Die Arbeitsmarktreformen sind den meisten inzwischen peinlich, man schämt sich der Agenda 2010, die Rente mit 67 würden sie am liebsten zurückdrehen. Bis heute sind die Wunden in der Partei nicht vernarbt, die Flügel zerstritten. Der größte Feind bleibt in der SPD oft der Parteifreund.

1998 wählten noch mehr als 20 Millionen Deutsche Gerhard Schröder zum Kanzler, elf Jahre später stimmten nur noch zehn Millionen Bürger für die SPD. In dieser politischen Kernschmelze spiegeln sich nicht nur eigene Fehler, sondern auch ein tief greifender gesellschaftlicher Wandel.

Die SPD, die vor 150 Jahren als Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein begann, konzentriert sich bis heute zu sehr auf die schrumpfende Arbeiter- und Arbeitnehmerschaft. Die Aufsteiger, durchaus Nutznießer der SPD-Politik, hat die Partei vernachlässigt.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die SPD sich zur Erschöpfung gesiegt hat; Bildung für alle, Gleichberechtigung, Arbeitnehmerrechte, eine durchlässige Gesellschaft hat sie mit erstritten und sich damit in den Augen vieler überflüssig gemacht. Die Union kommt vielen kompetenter, die Grünen moderner, die FDP liberaler vor. Sie alle haben die Forderungen der SPD in ihre eigenen Programme hineingeschrieben und sich sozialdemokratisiert. Die Grünen wetteifern mit der Linkspartei um den reinsten Sozialismus, selbst die FDP flirtet inzwischen mit dem Mindestlohn.

Wo Positionen verschwimmen, werden Personen entscheidend. Wer weiß das besser als die Genossen? Gerhard Schröder hat 1998 die Wahl gewonnen, weil er die imaginäre Neue Mitte um sich scharte. In Hamburg lag die SPD 2010, exakt ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl, bei 31 Prozent. Zwölf Monate später triumphierte Olaf Scholz mit 48,4 Prozent. Das zeigt noch etwas: Vergesst die Demoskopen.