Wir wollen gerne den Mainstream meiden, aber unsere Helden dennoch gefeiert sehen. Wie passt das zusammen?

Neulich im Schuhgeschäft hielt ich ein Paar knallgrüner Turnschuhe in der Hand, da nahte die Verkäuferin. "Nehmen Sie doch Converse Chucks", sagte sie, "die sind heute total Mainstream." Was sie meinte, war: Das tragen heute alle. Für viele Kunden wäre Mainstream allerdings keine Empfehlung, denn das Wort bedeutet auch seicht, platt, allzu gefällig - eben Allerweltskultur.

Sind nicht Sportschuhe generell, egal welcher Marke, längst Mainstream? Als der US-Sportartikelanbieter Converse 1917 die ersten Chucks auf den Markt brachte, waren sie jedenfalls noch reine Basketballstiefel. Alltagsfähig wurden Sportschuhe erst Ende der 1950er-Jahre, als amerikanische Teenager sich von den glanzpolierten Lederhalbschuhen der Erwachsenenmode absetzen wollten. Inzwischen werden Sneakers sowohl von Ein-Euro-Jobbern wie von Rechtsanwältinnen im Prada-Kostüm getragen.

Aber ist jede Popularisierung gleich Mainstream, und ist Mainstream blöd? Laut Wikipedia spiegelt Mainstream (englisch: Hauptstrom) "den kulturellen Geschmack einer großen Mehrheit, im Gegensatz zu Subkulturen oder dem ästhetischen Underground". Charlotte Lindholm trifft diesen Geschmack der Mehrheit: Die schroffe Tatort-Kommissarin zieht bis zu elf Millionen Zuschauer pro Folge vor die TV-Geräte, obwohl sie sicher kein Mainstream-Typ ist. Filmkollege Ingo Naujoks (Lindholms etwas schusseliger Hausgenosse Martin Felser) macht inzwischen als "Aussteiger" TV-Werbung für die Bausparkasse LBS. Da erklärt ihm seine kleine Tochter, dass sie am liebsten mal "Spießer" werden möchte. Die Werbung spielt mit dem Klischee, dass Bausparer spießig sind, geradezu die Inkarnation des Mainstreams: Opelfahrer mit Diddlemaus-Tassen, geblümter Tischdecke, Kiefernlaminat. Aber was, wenn jemand mit geblümter Tischdecke gern "Rage Against The Machine" hört? Ist er dann kein Spießer?

Die kalifornische Rockband, die sich als fleischgewordene Kritik an Konsum und Militarismus versteht, wollte immer Alternative sein und keinesfalls Mainstream. Sie hat damit kommerziellen Erfolg, errang Spitzenplätze in den Charts, veröffentlichte bei einem Großkonzern (Sony).

Trotzdem sehen ihre Fans den bösen Mainstream ganz woanders: 2009 erreichten sie mit einer Facebook-Aktion, dass ein Rage-Against-The-Machine-Titel den Gewinner einer Castingshow von Platz eins der britischen Weihnachts-Charts verdrängte. Für Alternative-Fans bringen Castingshows keine Kunst, sondern bloß mediale Künstlichkeit hervor.

Es ist ein bisschen absurd: Wir sind verliebt in die Idee, dass unser persönlicher Geschmack sich vom Mainstream unterscheidet und wir zu den letzten unabhängigen, wahren Ästheten gehören - gleichzeitig wollen wir unsere Helden auch gefeiert sehen, weil wir in einer Massengesellschaft leben. Aber wo gibt es noch eine "unabhängige" Gegenkultur? Selbst der Begriff "unabhängiger Film" mache heute in Hollywood nicht mehr viel Sinn, schreibt der französische Medienforscher Frederic Martel: Viele große Studios greifen auf autonome Produktionsfirmen zurück, sogenannte "Independents", die aber auf das Geld der Studios angewiesen sind. Die realisieren dann Filme wie "Lost in Translation" oder "Brokeback Mountain". Ist das nun Mainstream oder Autorenkino?

Nirgendwo wird so heftig um den Begriff gestritten wie in der Popkultur. 1998 drehten zwei unbekannte Filmstudenten aus Florida mit winzigem Budget eine wirre Geschichte in den Wäldern von Maryland. 1999 hatte "The Blair Witch Project" schon 248 Millionen Dollar eingespielt. Seither gehört es im Horror-Genre zum Mainstream, dass jemand von hinten im Wald mit einer wackelnden Handkamera gefilmt wird. So schnell wird aus einem unabhängigen Nischenprodukt Mainstreamware.

Eigentlich ist dieser Begriff nur noch ein Schwamm, der aufsaugt, was viele Menschen irgendwie gerne sehen, hören, anziehen. Ich habe jedenfalls die grünen Turnschuhe gekauft, egal ob Mainstream oder alternativ. Hauptsache: bequem.