Eine hohe Inflationsrate bei niedrigen Zinsen für öffentliche Anleihen ist ein erprobtes Mittel. Politisch ist es untragbar

Mit Beginn des neuen Jahres hat an den weltweiten Börsen ein atemberaubender Optimismus Einzug gehalten. Fast alle Kapitalmarktexperten gehen davon aus, dass die Aktienkurse in diesem Jahr neue Höhen erklimmen, die Immobilienpreise weiter steigen und die wirtschaftliche Lage sich spürbar verbessert. Die EU-Gipfeltreffen und Äußerungen von Politikern lassen ebenfalls diesen Optimismus erkennen.

Wie ist dieser Stimmungswandel vor dem Hintergrund der weiter existierenden Staatsschuldenkrise zu erklären? Ich glaube, dass neben der Ratifizierung des ESM-Vertrags (Euro-Rettungsschirm) Ende September 2012 vor allem zwei Entscheidungen dafür verantwortlich sind:

Erstens die Ankündigung der US-Notenbank Fed, im Jahr 2013 für eine Billion Dollar amerikanische Staats- und Hypothekenanleihen zu kaufen, um die Zinsen niedrig zu halten und zweitens die Äußerung von EZB-Präsident Mario Draghi, den Bestand der Euro-Zone unter allen Umständen zu sichern, indem die EZB - wenn nötig - "unbegrenzt" Staatsanleihen der Euro-Länder aufkauft. Beide Entscheidungen haben die gleichen Wirkungen: Sie vermehren die Geldmenge enorm und sorgen künstlich für niedrige Zinsen, bergen aber auch ein beträchtliches Inflationspotenzial. Für Aktienkurse und Immobilienpreise sind sie das beste Schmiermittel, sodass der Jubel der Kapitalanleger verständlich ist.

Erstaunlich aber ist das Schweigen der Politiker jeder Couleur zu diesen Entscheidungen. Obwohl die wundersame Geldvermehrung durch die "Notenpresse" eine Sünde wider den heiligen Geist der sozialen Marktwirtschaft ist und auch verbotene Staatsfinanzierung darstellt, nimmt niemand in der Politik daran Anstoß. Das hat seinen tieferen Grund. Wenn die Inflationsrate in einem Land höher ist als die Verzinsung seiner Staatsanleihen, verringern sich die Staatsschulden, weil der Staat doppelt profitiert: die Staatseinnahmen steigen überproportional durch die inflationär aufgeblähten Steuern und den progressiven Einkommensteuertarif, während die Staatsausgaben durch die geringeren Zinsen entlastet werden. Mit dem damit erzielten finanziellen Überschuss können Schulden zurückgezahlt und das Volumen der Staatsschulden abgebaut werden.

Dieses Verfahren der künstlichen Staatsentschuldung hat eine ähnliche Wirkung wie die sogenannte finanzielle Repression, bei der die Bürger niedrig verzinsliche Zwangsanleihen erwerben müssen, die durch die Inflation mehr und mehr entwertet werden und den Staat dadurch entschulden. Da Zwangsanleihen bei uns nicht mehr durchsetzbar sind und die Geldvermehrung die gleiche Wirkung hat, möchte ich sie als "versteckte" finanzielle Repression bezeichnen.

Diese Methode ist übrigens nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die fünfziger Jahre von Großbritannien und den USA intensiv eingesetzt worden. Während die Inflationsraten acht bis zehn Prozent erreichten, blieben die Zinsen der langfristigen Staatsanleihen bei zwei bis fünf Prozent. Beide Länder konnten dadurch ihre durch den Krieg verursachten hohen Staatsschulden bis 1956 um die Hälfte kürzen.

Der Blick auf die Gegenwart zeigt, dass seit 2011 die Inflationsraten in Deutschland, Großbritannien und den USA wieder über dem Zins für zehnjährige Staatsanleihen liegen. Die reale Verzinsung ist damit wieder negativ und entwertet das Vermögen der Anleihebesitzer.

Diese versteckte Entschuldung durch Geldvermehrung lehne ich - außer im Kriegsfall - aus zwei Gründen entschieden ab: Erstens kann die Inflationsgefahr möglicherweise von den Notenbanken nicht mehr gebändigt werden und zweitens entschuldet sich der Staat auf Kosten seiner Bürger, auch wenn diese gar keine Staatsanleihen besitzen. Denn Versicherungen, insbesondere Lebensversicherungen, und Pensionsfonds sind auf Staatsanleihen angewiesen und können durch die niedrigen Zinsen den Bürgern kaum noch Gewinnbeteiligungen, die für die Altersvorsorge so wichtig sind, versprechen. Dies halte ich für politisch untragbar.