Fast unbemerkt verändern die Elbvororte ihr Gesicht - schöner werden sie dabei nicht

In Hamburg glauben ja viele Menschen, die Stadt sei die schönste der Welt. Das ist töricht. Aus ästhetischen Erwägungen ähnlich töricht erscheint der bizarre Verteidigungskampf um die "Esso-Hochhäuser" an der Reeperbahn. Mit der einen Torheit könnte die andere Torheit bald obsolet werden. Hamburg wird hässlicher, und das scheint viele nicht nur zu stören, sondern sie scheinen es geradezu zum Ziel erklärt zuhaben.

Während aufgeregt Aktivisten schlimmste Plattenbausünden auf dem Kiez vor der Abrissbirne zu retten suchen, verfallen nur einige Hundert Meter weiter westlich Zeugnisse großbürgerlicher Architektur. Im größten zusammenhängenden Villenviertel Europas reißt der Verfall Lücke um Lücke. Und der Verfall wird übersehen, ignoriert, hingenommen, mitunter sogar gewollt. Denn an die Stelle alter Bungalows, Landhäuser und Villen treten meist Luxuswohnungen. Der Begriff "Mehrfamilienhaus" führt allein deshalb in die Irre, weil in die Penthäuser, Maisonettes und Staffelgeschosse nur selten Familien, viel eher aber Singles oder sogenannte Dinkies (Double Income No Kids - doppeltes Einkommen, keine Kinder) einziehen. Der gesellschaftliche Wandel macht vor den Elbvororten nicht halt.

Dabei sind Spekulanten, die den Verfall eines alten Gebäudes sehendes Auges mit einkalkulieren - um das Grundstück dann "frei" neuen Nutzungen zuzuführen, sprich gewinnbringend zu bebauen -, eine Ausnahme, obgleich an der Elbchaussee und um sie herum einige leer stehende Villen ins Auge springen.

Oftmals stirbt eine alte Villa aber mit ihrem Besitzer. Danach beginnen die Probleme. Weil sich das Interesse an den alten Häusern oft in Grenzen hält, das Erbe nicht selten auf mehrere Kinder verteilt werden muss und die Erbschaftssteuer hoch ist, bleibt der Verkauf der Immobilie die logische Folge. Doch Käufer, die wirklich in betagteVillen einziehen wollen und die hohen Instandsetzungskosten nicht scheuen, gibt er nur noch wenige.

Es mangelt nicht an Reichen, aber an willigen Villenbewohnern. Wer heutzutage Geld hat, wählt lieber einen Erstwohnsitz im sonnigen Süden, der Zweitwohnsitz im Hamburgs Westen liegt dann eher in Luxuseigentumswohnungen. Da kann man die Haustür abschließen, einem Concierge einige Aufgaben übertragen und muss sich über Gärtner, Hausmeister oder Sicherheitsdienste keine Gedanken machen. Als potenzielle Käufer alter Villen bleiben nur Immobilienentwickler.

Die sind, anders als das Wort glauben macht, weniger der Ästhetik des Gebäudes als vielmehr der Rendite verpflichtet. Es geht nicht darum, den Bau harmonisch in die Straße einzubetten, sondern ihn zu vermarkten. Die Neubauten gleichen sich meist wie ein Ei dem anderen - und den Wohnungs-mangel in Hamburg lindern sie auch nicht. Unter einem Flachdach finden sich fünf Wohnungen - ein großzügiges Penthouse über je zwei Luxuswohnungen im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss. Die Klötzchenarchitektur, in der HafenCity so umstritten, scheint in den Elbvororten nur wenige zu stören.

Eine Ausnahme macht der Bürgerverein Othmarschen-Flottbek. Er schlägt Alarm angesichts "mehr oder weniger einförmiger Standardbauwerke mit großzügig bemessenen Tiefgaragen-Einfahrten und pflegeleichtem Begleitgrün". Der Bürgerverein konstatiert zu Recht einen schleichenden "Verfallsprozess, der nicht sofort wahrnehmbar ist". Wer genauer hinschaut, kann es nicht übersehen: Parkplätze ersetzen Büsche, Blumen verschwinden, Bäume werden abgeholzt, die Grundstücke oftmals geteilt und eng bebaut. Der Bürgerverein betont, dass dadurch auch die Artenvielfalt leidet. Im Jenischpark sangen einst Nachtigallen, Haussperlinge und Gartenrotschwänze waren verbreitet. Heute dominieren häufige, anpassungsfähige Arten.

Der Bau der "Villenanlage Neu-Othmarschen" entlang der Straßenbahntrasse von Blankenese nach Altona war in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts der politische Wille der Altonaer. Der Dichter Detlev von Liliencron nannte die Elbchaussee einst die "schönste Straße der Welt". Diese Elbchaussee droht zu verschwinden.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt

In den kommenden Wochen pausieren die KRITiken. Der Autor ist in Elternzeit.