Das E-Book wird das gedruckte Buch ersetzen. Allerdings nicht komplett: In einem kleinen, aber feinen Nischenmarkt hat es eine Zukunft

Seit geraumer Zeit stellt ein entfernter Verwandter des gedruckten Buchs unter Beweis, dass es, nun ja, so etwas wie ein Leben nach dem Tod gibt: Die Verkaufszahlen der guten alten Vinyl-Schallplatte verzeichnen nie gekannte Steigerungsraten. Im ersten Halbjahr 2012 stieg der Umsatz mit den schwarzen Scheiben um satte 40 Prozent. Und dennoch: Der Marktanteil der Vinyl-Platten liegt bei gerade mal 1,3 Prozent. Laut des Bundesverbands Musikindustrie spricht sie nur noch "Liebhaber und Sammler" an.

Droht dem gedruckten Buch ein ähnliches Schicksal? Ja, es spricht alles dafür, dass es genauso kommen wird. Das elektronische Buch, das sogenannte E-Book, ist gerade dabei, das gedruckte Buch als Massenmedium abzulösen. Womöglich wird dieser Prozess in Deutschland etwas länger dauern als anderswo. Das zeigt sich daran, dass 2011 der Marktanteil der E-Books hierzulande gerade mal bei einem Prozent lag, in den USA jedoch im gleichen Zeitraum bereits bei 16 Prozent lag.

Dass sich aber auch in Deutschland, wo es anders als jenseits des Atlantiks, ein flächendeckendes Netz von Buchhandlungen gibt, etwas in Sachen elektronisches Buch tut, beweisen die allerneuesten Verkaufszahlen. Allein im ersten Halbjahr 2012 hat sich der Marktanteil der E-Books verdoppelt: Er liegt nun bei zwei Prozent. Neue Endgeräte wie der Kindle Paperwhite und das iPad mini werden diesen Prozess noch beschleunigen. Schon bietet Amazon elektronische Leihbücher an.

Dennoch hat es im Zusammenhang mit der diesen Sonntag zu Ende gehenden Frankfurter Buchmesse in den Feuilletons - auch in dem des Abendblatts - jede Menge Kommentare gegeben, in denen dem gedruckten Buch als Massenmedium trotzig noch eine lange Zukunft vorhergesagt wurde. Seine Verteidiger verweisen auf dessen sinnliche Qualitäten. Sie schwärmen von seinem Papier und den kunstvoll gestalteten Einbänden. Manche Feuilletonisten räumen ein, dass es Sinn machen könne, Gebrauchsliteratur wie Sach- und Fachbücher auf elektronischen Geräten zu lesen. Aber bitte doch nicht Belletristik.

Mit der Realität hat all dies nichts zu tun. Das Argument, wonach die taktilen Qualitäten des gedruckten Buches durch nichts zu ersetzen seien, klingt seltsam bekannt. Es machte, bezogen auf das Plattencover von einst, bereits die Runde, als die immaterielle MP3-Datei ihren Siegeszug antrat. Offenbar sind die sinnlichen Qualitäten von Datenträgern, nichts anderes sind gedruckte Bücher und Schallplatten, dem Endverbraucher ziemlich schnuppe. Auch ist es eine Mär, vor allem Leser von Sach- und Fachliteratur seien für elektronische Bücher anfällig. Das Gegenteil ist der Fall: Das Wachstum des amerikanischen E-Book-Marktes wird vor allem von der Belletristik getrieben.

Mittlerweile gibt es auch in Deutschland erste Kulturjournalisten, die sich dem Mainstream ihrer Branche verweigern. Der Feuilletonist Malte Herwig etwa schilderte unlängst in der Wochenzeitung "Freitag" geradezu lustvoll, wie er seine analoge Bibliothek digitalisiert. Dabei geht er recht brachial vor: Den Buchrücken trennt er mit einer sogenannten Bücher-Guillotine von den Seiten, die er per Einzeleinzug äußerst schnell einscannt, bevor sie im Papiermüll entsorgt werden.

Dennoch werden bis auf Weiteres Anhänger des gedruckten Buchs in den Feuilletons den Ton angeben. Das dürfte in erster Linie an seiner großen symbolischen Bedeutung liegen. Das gedruckte Buch gilt als Medium von Bildung und Aufklärung. Manch Bildungsbürger stellt mit einer großen Bibliothek bewusst die eigene Belesenheit zur Schau. Ob er die Werke, die für seine Gäste gut sichtbar im Regal stehen, auch wirklich alle gelesen hat, ist zweitrangig.

Dem Distinktionsgewinn, den eine gut gefüllte Bücherwand verheißt, vermag das E-Book einstweilen nichts Entsprechendes entgegenzusetzen. Dennoch gehört ihm die Zukunft. Das gedruckte Buch wird aber nicht verschwinden. Es wird - ähnlich wie bereits heute die Schallplatte aus Vinyl - als Sammlerstück für biblophile Liebhaber weiterleben.