Zum von Ausschreitungen begleiteten Besuch der deutschen Bundeskanzlerin in Athen

Griechenland ist sicherlich nicht ohne Schuld. Zu der fehlenden Haushaltsdisziplin kommen politische Korruption und riesige Steuerhinterziehung. Das Chaos ist zu einem guten Teil hausgemacht, wie der Syriza-Chef Alexis Tsipras argumentierte, als er als ersten Programmpunkt den Kampf gegen die Korruption nannte. Aber es ist ein schlimmeres Chaos als in Italien, und selbst wenn das Syriza-Bündnis gestern zusammen mit den Gewerkschaften gegen Merkel demonstriert hat, ist es skandalös, dass die Kanzlerin die erste Oppositionspartei nicht trifft. LA REPUBBLICA (ROM)

In Athen zieht der Charme von Merkel nicht. Die Bundeskanzlerin hat Empathie gezeigt und versichert, dass sich die Reformen auszahlen werden. Überzeugt hat sie allerdings nicht. (…) Eine breite Masse ist wütend wegen der strengen Sparpolitik, die von Deutschland verlangt wird. LE FIGARO (PARIS)

Falls Angela Merkel mit ihrem Besuch in Athen die Absicht hatte, die Griechen zu beruhigen und die negativen Gefühle ihr gegenüber zu mildern, dann hat sie dieses Ziel verfehlt. Nach sechs Rezessionsjahren sehen die Griechen immer noch kein Licht am Ende des Tunnels. Die Ablehnung der Griechen gegenüber der Bundeskanzlerin hat zugenommen. Für sie ist Merkel die – ungerechte – Personifizierung aller Übel. Das Aufgebot von 6000 Polizisten zeigt, wie unbeliebt Merkel in Griechenland ist. EL PAÍS (MADRID)

Die Wütenden von Athen machen einige Denkfehler. Nicht die deutsche Kanzlerin ist für die Misere des Mittelmeerlandes verantwortlich, sondern die Griechen selber. Sie haben jahrzehntelang die immer gleiche unfähige Politikerkaste wiedergewählt. Viele profitierten von der Korruption und einem löchrigen Steuersystem. Gleichwohl trägt Merkel Verantwortung für das, was sie tut – oder unterlässt. Lange ist sie zögerlich gewesen in der Krise, hat nur Tippelschritte gemacht. TAGES-ANZEIGER (ZÜRICH)