Beim Oktoberfest muss man, auf dem Dom kann man eine Lederhose tragen. Warum die Hamburger den Münchnern überlegen sind

Sie haben also vor, aufs Oktoberfest zu gehen. In München natürlich, nicht auf eines dieser traurigen Pseudo-Festchen, die jetzt sogar schon in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg aus dem Boden sprießen. Bravo. Aber sind Sie auch schon mit der passenden Bekleidung ausgerüstet? Wenn nicht, dann wird's jetzt höchste Eisenbahn! Die limitierte "Original Oktoberfest Lederhose" aus der Kollektion 2012, die "weltweit durch die Landeshauptstadt München lizensiert und daher für jeden Wiesen-Liebhaber ein Muss" ist, ist nämlich quasi schon ausverkauft. Nur Restexemplare sind in den Größen 44 bis 58 noch vorhanden, Größe 48 ist ganz weg. (Wer zufällig Größe 48 hat, sollte sich gedanklich also schon mal von dem "passgenauen Schnitt" verabschieden.)

Bei der "Original Oktoberfest Lederhose" handelt es sich um eine kurze Wildbock-Velourlederhose in Schwarz, die naturgemäß nicht ganz billig ist. Nicht ganz billig sein kann . So edel, wie die bestickt ist. (Oktoberfest-Enblem auf dem Messersack!) Und dazu braucht's natürlich noch Haferlschuhe, ein zünftiges Hemd - zum Beispiel Modell "Aachensee", grün kariert, oder Modell "Spitzingsee", rot kariert - und die klassischen Kniestrümpfe mit Zopfmuster. Oder, für den mutigen Herrn, Loferl. Sie wissen schon, diese Art Pulswärmer, die sich ein bayerisches Mannsbild um die Waden wickelt.

Zugegeben, das läppert sich - summa summarum sind wir jetzt bei knapp 400 Euro -, aber dafür kommt so eine "Original Oktoberfest Lederhose" ja auch nicht aus der Mode. Die können Sie im nächsten Jahr um diese Zeit schon wieder anziehen!

"O'zapft is" jetzt also wieder in München. Kenner haben natürlich schon im letzten Jahr Plätze beim "Schottenhamel" oder im "Schützen-Festzelt" bestellt, denn auch dieses Mal werden wieder sechs Millionen Menschen auf der Wiesn erwartet. Das ist so, als käme auf einen Schlag halb Griechenland nach München. Oder ganz Burundi. Dann wäre natürlich gleich Schluss mit lustig.

Groß ist es also, das Münchner Oktoberfest, und eine gewisse Tradition ist ihm auch nicht abzusprechen. Das Oktoberfest geht bekanntlich auf die Hochzeit von Kronprinz Ludwig mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Jahr 1810 zurück. Aber das ist natürlich nichts im Vergleich zur Hamburger Dom-Tradition. Der so heißt, "weil früher unweit von hier einmal ein Dom stand, in den Gaukler bei Hamburger Schietwetter hineingehen durften", wie Marc Müller so treffend gesagt hat, und "wollten die Bürger dann bespaßt werden, gingen sie eben in den Dom". So war das im 16., 17. Jahrhundert.

Im 20. Jahrhundert haben die Hamburger zum klassischen "Winterdom" dann noch den "Frühlingsdom" und den "Sommerdom" dazuerfunden. An dieser intelligent weiterentwickelten Geschäftsidee kann man mal wieder sehen, dass der Hamburger an und für sich dem Münchner überlegen ist. Anders gesagt: Hätten sich die Münchner vor 200 Jahren nicht auf Oktober festgelegt, könnten sie jetzt auch März- oder Julifeste feiern! Oktoberfeste im März oder im Juli gehen natürlich nicht. So ein Blödsinn würde ja sogar einem Japaner auffallen.

Der Winterdom beginnt in diesem Jahr übrigens am 9. November. Eine Kleiderordnung wie auf dem Oktoberfest - Tracht, Tracht, Tracht! - gibt es bei uns natürlich nicht. Auf dem Dom kann jeder anziehen, was er will. Notfalls sogar die "Original Oktoberfest Lederhose" und das Spitzingsee-Hemd. Der Hamburger ist, was solche modischen Exzesse anbetrifft, ja von Natur aus tolerant. Die sieht er gar nicht! Lederhosen trägt er, wenn überhaupt, nur auf dem Oktoberfest (siehe oben), zu Hause hält er sich an schwarzes oder blaues Tuch. Eine "Badehose in Lederhosenoptik", wie sie jetzt wieder in München feilgeboten wird, schafft sich der Hamburger natürlich auch nicht an. Er weiß einfach, dass sein Landsmann Lagerfeld recht hat: "Fehler im Aussehen entstehen, weil viele das tragen, was sie meinen tragen zu müssen, und nicht das, was sie tragen möchten."