Auf den Nordsee-Inseln ist schlechter Service für Urlauber kein Einzelfall. Wer das ändern will, entfacht den Zorn der Einheimischen

In einer Wirtschaft lässt sich viel über Volkswirtschaft lernen. Nicht unbedingt von Welterklärern an promilleberauschten Stammtischen, wohl aber durch Service, Freundlichkeit und Qualität. Wer daran zweifelt, soll sich an die dunklen Zeiten in Ostdeutschland erinnern: Wer hier seine Ostmark verflüssigen wollte, bekam einen bunten Kessel an Ausreden aufgetischt: "Hier wird heute nicht bedient", hieß es gern. Oder sämtliche Plätze im menschenleeren Restaurant waren für "geschlossene Gesellschaften" reserviert. Wenn man dann irgendwie irgendwo irgendwann ein Plätzchen erobern konnte, war die gewünschte Speise sicher ausgegangen.

Dass der Kapitalismus das etwas bessere System für alle - außer für arbeitsscheue Kellner - ist, hätte allen dämmern müssen, die jemals zu einem Dämmerschoppen gegangen sind. Zwar findet man landauf, landab immer noch einige Servicewüsten, in diesem Punkt aber ist gerade der Osten eine blühende Landschaft geworden. Ganz anders hingegen ist es im verwöhnten Westen.

Dort waren wir auf einer dieser bezaubernden Inseln in der Nordsee. Der Strand traumhaft, das Wetter kaiserlich, die Kinder glücklich, der Service schlimm. Und wie. Eine Kostprobe gefällig? Wir bestellten um kurz vor neun Uhr abends im Restaurant eine Hühnersuppe.

Das allein verstand die "Service"-Kraft schon als Anschlag auf ihren Feierabend - schließlich schließt die Küche allabendlich um neun Uhr. Mürrisch tischte sie die Hühnersuppe auf - oder das, was der "Koch" für eine Hühnersuppe hielt. Sie war so dünn wie versalzen, so lausig wie ungenießbar, wovon sich alle am Tisch per Kostprobe überzeugen konnten. Es entspann sich folgender Dialog:

"Entschuldigen Sie, die Suppe ist total versalzen."

"Die ist so."

"Ja, aber sie ist ungenießbar."

Der Gesichtsausdruck der "Service"-Kraft verdunkelte sich. Sie guckte, als habe sie bei der Grenzpolizei gelernt und gerade einen Republikflüchtling auf frischer Tat ertappt: "Und was soll ich jetzt machen?", lautete ihre groteske Rückfrage.

"Vielleicht eine neue bringen?"

"Wir haben nur die eine", merkte sie an und verschwand.

Das kann man Chuzpe nennen - oder unverschämt. Zumal die gute Dame die Suppe nicht nur berechnete, sondern auch noch eigenmächtig Trinkgeld auf die Zeche schlug.

Wer sich auf den schönen Nordsee-Inseln auskennt, weiß, dass das leider kein Einzelfall ist: Hätte Bundesaußenminister Guido Westerwelle seine Philippika über den "anstrengungslosen Wohlstand" nicht mit spätrömischer, sondern mit ostfriesischer Dekadenz verbunden, die Empörungswelle wäre rasch abgeebbt. Denn einigen geht es dort offenbar zu gut - weil die Inseln wunderschön sind und jeder Sommer neue Touristen auf die Eilande spült, reicht der Gast, der einmal zu ihnen kommt.

So kochen viele auf niedriger Flamme, stellen Sperrmüll in Ferienwohnungen und berechnen Luxuspreise oder benehmen sich, als sei der Gast nur der Wurmfortsatz seiner Geldbörse. Und wehe, einer der Insulaner - oder noch schlimmer ein Investor vom Festland - kommt auf die Idee, auf ein anderes Konzept zu setzen. Davon kann beispielsweise der inzwischen insolvente Reeder Niels Stolberg ein Lied singen: Der brachte mit einem zeitgemäßen Gastronomiekonzept frischen Wind nach Spiekeroog und stieß auf den erbitterten Widerstand einiger Insulaner, die um ihren "anstrengungslosen Wohlstand" fürchteten.

Auch anderswo wird Gastronomen vom Festland mit Anzeigen beim Ordnungsamt, Klagen und Mobbing das Leben und Geldverdienen schwer gemacht. Weil der Platz auf den Inseln begrenzt ist und die Alteingesessenen über Neueinsteiger oft mitentscheiden können, bleibt zu vieles beim Alten. Volkswirte nennen das Markteintrittsbarrieren, Wirte ein prima Geschäft.

Solange der Markt nicht funktioniert, ist der Kunde Knecht und kann bequem übers Ohr gehauen werden. Nur weil die Inseln einfach zu schön sind, gibt es immer wieder Unternehmer, die etwas Neues wagen.

Als Tourist kann man vom Wettbewerb gar nicht genug bekommen: Denn er trennt die Spreu vom Weizen. Beim Bier mit Meerblick kann man zum Kapitalisten werden.

Matthias Iken beleuchtet in der Kolumne "Hamburger KRITiken" jeden Montag Hamburg und die Welt