Krimi-Autorin Nele Neuhaus verkaufte ihre ersten Bücher in der Wurstfabrik. Claudia Weiss entdeckte ihre Heldin in einer Hamburgensie

Kriminalgeschichten sind meist dem wirklichen Leben abgelauscht, vielleicht erfreuen sie sich auch deshalb anhaltender Beliebtheit. Zwei, die gut hinhören können, wenn das Leben beginnt vom Heute oder auch vom Damals zu erzählen, sind Nele Neuhaus (Foto links) aus Kelkheim im Taunus und Claudia Weiss aus Hamburg. Beide sind 44 Jahre alt, beide haben als Autorinnen den Kriminalroman für sich entdeckt, beide lesen sie beim Hamburger Krimifestival kommende Woche auf Kampnagel.

Zwei Frauen, ein Genre, zwei gänzlich verschiedene Leben. "Urlaub im Kopf" ist das Schreiben für Nele Neuhaus, wie sie einmal sagte. Diesen Urlaub verbringt sie in einer Welt, die so ganz anders ist als der Alltag in der Fleischwarenfabrik ihres Mannes. Tagsüber hilft sie im Verkauf, abends schreibt sie. So kommen gut 1000 Seiten zusammen, ihr erster Kriminalroman. "Unter Haien" nennt Neuhaus ihn. Vor elf Jahren war das, einen Verlag für das Manuskript findet sie nicht.

Zur selben Zeit arbeitet Claudia Weiss als Lehrbeauftragte am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Sechs Jahre später wird sie an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr habilitieren. Die Geschichte Russlands und das Zarenreich sind ihre Arbeitsschwerpunkte, harte historische Fakten, fernab literarischer Fiktion.

Nele Neuhaus wäre wohl nicht die Frau eines Unternehmers, trüge nicht auch sie das Selfmade-Gen in sich. Also kürzt sie ihren Text auf eine lesbare Länge und lässt bei einem kleinen Verlag 500 Exemplare drucken. Auf eigene Kosten.

Das ist erst der Anfang. Sie mietet einen Raum, lädt Freunde und Bekannte ein und feiert ihre ganz private Buchpremiere. Sie organisiert ihre Lesungen, klappert Buchhandlungen ab, baut sich eine Internetseite, präsentiert ihr Buch auf dem Tresen im Verkaufsraum der Wurstfabrik. Schnell sind die 500 Exemplare weg, 1000 weitere werden auf einer Palette geliefert, Nele Neuhaus lagert sie in der Garage. So nimmt die wundersame Geschichte ihren Lauf, zwei weitere Romane schreibt sie. Das geht einige Jahre, dann hat Nele Neuhaus mehr als 45 000 Bücher verkauft. Ohne Verlag, nur dank eigener Kraft und Ideen. Es soll noch spannender werden.

Claudia Weiss empfindet derweil das wissenschaftliche Schreiben als zunehmend mühevoll und kompliziert. Sie mag es klar heraus, schnörkellos. Und so entdeckt die Historikerin eines Tages beim Stöbern in einer Hamburgensie die Geschichte einer jungen Frau, die, als Mann verkleidet, im Hamburg des Jahres 1701 lebt. Sie wird als Hexe geächtet, verfolgt, kommt schließlich zu Tode. Aus alten Sütterlin-Handschriften hat sie sich das Schicksal der jungen Frau zusammengelesen. Doch trotz aller Recherche bleibt die tragische Heldin stumm. Nur die Fiktion kann sie zum Leben erwecken, und so setzt sich Claudia Weiss hin und schreibt ihren ersten historischen Kriminalroman. Das Manuskript landet beim Verlag Hoffmann und Campe, das Lektorat ist von der wahren fiktiven Geschichte schnell angetan, und "Das Schandweib" betritt im August 2011 die literarische Bühne. Und verkauft sich.

Wenige Jahre zuvor weihnachtet es sehr in einer Buchhandlung in Königstein im Taunus. Harry Potter ist landesweit der Bestseller der Branche. Nur im kleinen Königstein nicht. Dort werden die Bücher von Nele Neuhaus besser verkauft als jene von Joanne K. Rowling. Als wäre das nicht schon ein kleines Weihnachtswunder, besucht in jenen Tagen auch noch ein Ullstein-Verlagsvertreter die Buchhandlung und erfährt von dieser ihm bis dato völlig unbekannten Autorin.

Der Rest ist schnell erzählt. 2009 erscheint der Neuhaus-Krimi "Tiefe Wunden" bei der Ullstein-Tochter List, "Wer Wind sät" heißt der aktuelle Thriller. Auch er hat sich mühelos in den Bestsellerlisten platziert, weit mehr als eine Million Bücher hat Nele Neuhaus bislang verkauft. Jetzt mit Verlag.

Unkonventionell ist der Weg der Nele Neuhaus, konventionell jener der Claudia Weiss. Zum Ziel führen beide. Mit Geschichten, die das Leben erzählt. Sind halt immer noch die besten.