Zwei Jahrzehnte nach Franz Beckenbauers Fußball-WM-Titel von 1990 verwirklicht Joachim Löw, was der Kaiser angekündigt hatte

Es war eine schöne Sommernacht am 8. Juli 1990 in Rom. Franz Beckenbauer, Lichtgestalt des deutschen Fußballs, wandelte einsam über den Rasen des Olympiastadions, während seine Spieler den Triumph im Weltmeisterschaftsfinale gegen Argentinien feierten. Später sagte der Teamchef der deutschen Nationalelf: "Es tut mir leid für den Rest der Welt, aber diese Mannschaft wird auf Jahre hinaus nicht zu schlagen sein." Mit der deutschen Einheit, dachte er, könnte sich das Team aus dem reichen Fundus der DDR-Fußballschule bedienen. Als Beckenbauer diese bedeutungsschweren Wörter fallen ließ, war der damals 30 Jahre alte Joachim Löw im Herbst seiner Fußballkarriere gerade beim FC Schaffhausen kurz hinter der Schweizer Grenze gelandet. Von Ambitionen beim DFB war nichts bekannt.

Beckenbauer lag mit seiner Prophezeiung gewaltig daneben. Der Glanz des deutschen Fußballs wurde schon 1994 stumpf. Von der WM in den USA blieb nur Effenbergs Mittelfinger im Gedächtnis. Die deutschen Kicker nahmen nur noch 1996 bei der Europameisterschaft in England einen Pokal entgegen, ansonsten rumpelten sie sich über die Runden. Klar, erfolgreich spielten die Männer mit dem Adler auf der Brust auch weiterhin, so wie es der Engländer Gary Lineker beschrieb: "Fußball ist ein simples Spiel. 22 Männer jagen hinter einem Ball her und am Ende gewinnen immer die Deutschen." Schönheitspreise aber gewannen sie nicht, die blieben Brasilianern, Portugiesen oder zuletzt Spaniern vorbehalten.

Und dann tauchte irgendwann Joachim Löw auf. Erst als treuer Knappe des Fußball-Revoluzzers Jürgen Klinsmann, dessen schwäbisches Idiom er spielend verstand. Später übernahm er ganz, weil sich kein anderer in der Übergangsphase den Job zutraute.

Aber plötzlich spielten die Deutschen Fußball. Schön und ansehnlich, ästhetisch wie die blauen Pullover und die tiefschwarze Haarpracht ihres Trainers. Unter Löw gab es zwei dritte Plätze bei Weltmeisterschaften und einen Vize-Europameistertitel. Es musste mehr als zwei Jahrzehnte dauern, bis sich Beckenbauers kühne Prognose bewahrheitet. Aus deutschen Landen kommen plötzlich wieder Fußballer, die den Ball streicheln und ihre Gegner schwindlig spielen können. Zehn Siege in zehn Qualifikationsspielen machten sie zum Favoriten für die EM 2012. Langjährige Beobachter fühlen sich an die Elf von 1972 erinnert, viele sagen sogar, im Vergleich zu Özil, Götze und dem jungen Müller hätten Beckenbauer, Netzer und der alte Müller seinerzeit eher Standfußball gespielt. Zur Krönung fehlt nur ein Titel.

Ähnlich weit wie diese Fußball-Generationen sind ihre Protagonisten voneinander entfernt. Beckenbauer war schon in jungen Jahren der Kaiser, Löw nur der Jogi. Der Münchner ist Ehrenspielführer der Nationalelf, der Schwarzwälder, der es zu vier U-21-Länderspielen brachte, Ehrenspielführer des Sportclubs Freiburg. Beckenbauer gab sich weltmännisch, kickte in New York, besuchte die Met. Sein internationales Netzwerk half mit, die WM 2006 nach Deutschland zu holen. Ihm genügte es, seinen gestandenen Profis zu sagen: "Geht's raus und spielt's Fußball!" Löw, der es in die Schweiz, die Türkei und nach Österreich schaffte, ist in der Lage, seinen Spielern den Fußball zu erklären. Und während der Kaiser an keinem Mikrofon vorbeigehen konnte und als Firlefranz noch heute zu allen Problemen der Welt eine Meinung hat, macht sich der Bundestrainer rar.

Wobei beide das Landsmannschaftliche, Spötter würden sagen, das Provinzielle, eint. Beckenbauer kann den Bayern nie verleugnen, der schon mal ein Weißbier trinkt, auch wenn er der Krachledernen entsagt hat. Löw ist und bleibt Schwarzwälder und darf volksnah für Hauptpflegeprodukte und ein Reiseunternehmen werben. Ein Bundestrainer ist eben viel unterwegs.

Es blieb dem Fußball-Weisen Beckenbauer vorbehalten, seinem Nach-Nach-Nach-Nach-Nachfolger den Ritterschlag zu erteilen: "Joachim Löw hat unserer Nationalmannschaft ein Gesicht gegeben." Und das, freut sich ganz Fußball-Deutschland, ist ausgesprochen ansehnlich.