Auf seiner Deutschlandreise begegnet der Papst den Spuren des Reformators - und dem Wunsch nach Veränderung

Wenn Benedikt XVI. Donnerstag nach Deutschland kommt, trifft er auch Luther. Nicht von Angesicht zu Angesicht. Luther starb im Februar vor 465 Jahren. Aber des Reformators Spuren sind im Heimatland des Papstes, das auch Heimatland der Reformation ist, nicht zu übersehen. Zum Beispiel im evangelischen Augustinerkloster in Erfurt. Hier trat der junge Luther mit 21 Jahren der strengen Mönchsgemeinschaft bei, hier wurde er zwei Jahre später zum Priester geweiht. Es deutet auf Bewegung in der trägen Amtskirche hin, wenn der Papst ausgerechnet hier die Offiziellen der evangelischen Mitchristen trifft - auf Luthers ureigenem Boden, wo der Oberhirte aus Rom nur als Gast und nicht als Gastgeber auftreten kann. Diesen Termin soll der Papst sogar persönlich ins zeitknappe Besuchsprogramm diktiert haben.

Wahrscheinlich ist die ungewöhnliche Geste des Besuchs schon zu vielversprechend, als dass die zu weit mehr Ökumene bereiten Christen von dem Erfurter Treffen auch noch inhaltlich Bedeutsames zu erwarten haben. Was soll ein 40-Minuten-Gespräch in großer Runde auch verändern an einer Kirche, die seit Jahrhunderten getrennte Wege geht? Immerhin gibt es am historischen Ort einen gemeinsamen Gottesdienst, bei dessen Vorbereitung es "keinerlei ernsthafte Reibungspunkte" gab, wie Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Katholischen Nachrichtenagentur versichert hat.

Die "Reibungspunkte" zwischen Protestanten und Katholiken sind damit aber nicht vom Tisch. Es gibt kein gemeinsames Abendmahl und offiziell immer noch keine Zulassung zur Eucharistie bei konfessionsverschiedenen Eheleuten. So weit die trennende Praxis, ganz zu schweigen von Unterschieden in der Theologie und den nur schwer in Einklang zu bringenden Auffassungen von Amt und Kirche oder der Rolle der Frau.

Hier kommen wieder Papst und Luther ins Spiel. Grob vereinfacht sind diese beiden daran schuld. Jedenfalls die historischen Vorgänger des Papstes, die Verfehlungen wie den Freikauf von Sünden im Ablasshandel förderten oder einen wenig christlichen Lebensstil führten.

So wurde Luther zum Vater der Kirchenspaltung, ohne dass er dies gewollt hätte. Lieber wäre ihm eine Reform "seiner" Kirche gewesen als ein neues Konkurrenzmodell. Einige zu Luthers Zeiten strittige Themen haben evangelische und katholische Theologen inzwischen in Einklang gebracht. Es ist anzunehmen, dass der Papst bei seinem Deutschlandbesuch auf diese aus dem Weg geräumten Hindernisse weist. Ein später Triumph Luthers. Kaum vorzustellen, wie ein Gespräch zwischen dem von analytischem Intellekt geprägten früheren Theologie-Professor Ratzinger und dem abtrünnigen Mönch Luther verlaufen würde, könnten sich beide über alle Zeitschranken hinweg einen Disput liefern. Luther betrieb intensive Bibelstudien, bezog seine Kraft aus der Heiligen Schrift, ein Gelehrter, der lieber selbst Schriften verfasste als lärmend aufzutreten. Die filmreife Szene, laut der er am 4. September 1517 seine 95 Thesen ans Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben soll, hat wohl nie stattgefunden, wie Forscher längst herausgefunden haben. Aber zuzutrauen wäre ihm ein solcher Ausbruch der Gefühle gewesen.

Was ihn bewegte, hat Luther nicht unterschlagen. Nachdem er sein Mönchsleben aufgegeben hatte, heiratete er die ehemalige Nonne Katharina von Bora. Sie bekamen sechs Kinder. Heute leben 2800 ihrer Nachkommen, viele organisiert als "Lutheriden".

Katholische Priester müssen immer noch ehelos leben, Luther lehnte das Zölibat strikt ab. Kirchenkritiker fordern anlässlich der Papstreise mutige Reformen, um die von Austritten, Missbrauchsfällen und Priestermangel erschütterte Kirche zu stabilisieren.

Doch der Papst könnte sich gerade im Blick auf Luther mit großen Veränderungen zurückhalten. Denn wenn eine Glaubensgemeinschaft abrupt in eine neue Zeit gelenkt wird, können oder wollen viele nicht folgen. Was der Papst gar nicht gebrauchen kann: noch mal eine Kirchenspaltung.