Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern fordert alle demokratischen Parteien heraus.

Wenn ein Bundesland mit 1,4 Millionen Wahlberechtigten einen neuen Landtag wählt, sind die Auswirkungen auf die Bundespolitik naturgemäß begrenzt. Und doch stoßen solche Wahlen mitunter Entwicklungen an, die über die Landesgrenzen hinausreichen. Das galt für Hamburg, wo sich Olaf Scholz mit seinem Erdrutschsieg in die Reihe der denkbaren SPD-Kanzlerkandidaten beförderte, bevor er sich - ob aus Einsicht oder aus Rücksicht auf die Hansestadt - selbst aus dem Rennen nahm. Das gilt jetzt auch für Mecklenburg-Vorpommern.

Aus dem Wahltag an der Ostseeküste ergibt sich eine dreifache Reifeprüfung. Zuerst für Erwin Sellering, den überzeugend bestätigten Ministerpräsidenten, und seine Partei. Ambitionen, Angela Merkel herauszufordern, wird Sellering nicht entwickeln. Seine Entscheidung jedoch, ob er die Koalition mit der erheblich geschwächten CDU fortführt oder zur Linkspartei wechselt, betrifft nicht nur das Küstenland.

Die Haltung der SPD zur Linken ist gespalten: Eine Koalition auf Bundesebene gilt als ausgeschlossen, solange die irrlichternden Vorsitzenden Lötzsch und Ernst die Geister der Vergangenheit beschwören. In den östlichen Bundesländern allerdings sehen Sozialdemokraten die Linkspartei vielerorts als verlässlichen Partner - so auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo Rot-Rot schon einmal acht Jahre regierte. Dieses Bild bedarf der Korrektur. Ein Landesverband der Linken, der seinen Wahlparteitag auf den 50. Jahrestag des Mauerbaus legt und Für und Wider der Einpferchung einer Bevölkerung diskutiert, bringt sich um den Anspruch, ernst genommen zu werden. Sellering wird nicht zur Linken wechseln können, ohne sich zu diskreditieren.

Die zweite Reifeprüfung betrifft alle demokratischen Parteien - und ihren Umgang mit der NPD. Die geringe Wahlbeteiligung mag Teil der Erklärung für den Wiedereinzug der Rechtsextremisten in den Schweriner Landtag sein. Sie mindert aber nicht das Erschrecken. Es wird Zeit, dass sich gerade die Volksparteien auf eine gemeinsame Strategie gegen die Feinde der Demokratie verständigen. Die Frage, ob ein neues NPD-Verbotsverfahren angestrebt wird, taugt nicht für Wahlkämpfe. Sie muss sachlich entschieden werden. Ist die Gefahr tatsächlich groß, dass auch ein zweiter Anlauf in Karlsruhe scheitern würde, sollte auf ein Verbotsverfahren verzichtet werden. Es wäre fahrlässig, die personell und finanziell ausgezehrte NPD zum Überlebenskünstler zu machen.

Vor der dritten Reifeprüfung stehen FDP und Grüne. Im ersten Fall geht es um die Fähigkeit, mit existenziellen Niederlagen umzugehen, im zweiten, die richtigen Schlüsse aus Siegen zu ziehen. Philipp Rösler ist lange genug FDP-Vorsitzender, um sich dem Gedanken zu nähern, dass das niederschmetternde Ergebnis mehr mit ihm als mit seinem Vorgänger zu tun haben könnte. Auf Steuersenkungen zu beharren, als gäbe es die europäische Schuldenkrise nicht, hat Zweifel genährt am Sinn des Wechsels an der Parteispitze. Und Röslers Bestreben, Westerwelle als Bundesaußenminister in der Libyen-Frage zu gängeln, entstammt dem Repertoire von Nachwuchspolitikern.

Die Grünen sind nun in allen 16 Landtagen vertreten. Sie sind eine gesamtdeutsche Partei - Volkspartei allerdings sind sie nicht. Das Wahlergebnis von Mecklenburg-Vorpommern zeigt ebenso wie der Umfragetrend, dass die Bäume für die Grünen nicht in den Himmel wachsen. Je mehr die Kernkraft als Feld der Auseinandersetzung in den Hintergrund tritt, desto deutlicher wird die eigentliche Größe der Grünen. Reife zeigen sie, wenn sie auf etwas verzichten, das sich die FDP einst nicht nehmen ließ: die Aufstellung eines Kanzlerkandidaten.