Hamburgs Telemichel und die Elbphilharmonie sind seelenverwandt. Zwei Festungen, die wanken und die Stadt in Atem halten

Kann Beton eine Seele haben? Zum Beispiel der Fernsehturm - in Hamburg liebevoll Telemichel genannt? Oder die Elbphilharmonie? Ja, beide haben eine Art Seele: etwas Unerklärliches, Emotionales, Geheimnisvolles, die Menschen Berührendes und Zeiten Überdauerndes.

Zwei Gebäude und dennoch mehr. Zu hoch, zu monströs, zu auffällig, um sie zu ignorieren. Und aktuell Hamburgs umstrittenste Bauten, sogar für norddeutsch traditionell unterkühlte Gemüter. Zwei Festungen, die wanken.

Der Telemichel ist mit knapp 280 Metern das höchste Gebäude der Stadt-Silhouette. Viele seiner technischen Aufgaben hat er überlebt. Immer mehr Sendesignale werden über Glasfaserkabel und Satelliten übermittelt. Dennoch ergänzen die Turm-Antennen das komplizierte Netz der Signale, für Handys, den Polizei-, den Zollfunk. Aber die besten Jahre liegen hinter ihm.

Die Elbphilharmonie hat sie noch vor sich. Denn schlimmer kann es für sie kaum kommen. Hamburgs Wahrzeichen der Neuzeit steht für Misswirtschaft und ein Millionenloch, für Mangelverwaltung und Dauerstreit zwischen Bauherrn, Politikern, Architekten und Baukonzern. Der Ärger trifft die Seele der Steuer zahlenden Bürger, die dank ihrer Abgaben die wahren Eigentümer der Unvollendeten sind. Aufregung in Beton verewigt.

Welche Gelassenheit strahlt da der mit weißem Schutzanstrich seit 1968 vollendete Fernsehturm aus. Auch ist er längst bezahlt. Nur ein Mini-Fleck bekleckert seine Seele. Denn niemand darf mehr rauf in die Besucher-Etage mit spiegelfreiem Glas, 128 Meter über Grund.

Seit 2001 ist die Plattform mit Hamburgs höchstem Restaurant geschlossen. Obwohl der Fernblick der "absolute Hammer" ist, schwärmt Bettina aus der Neustadt. Stuntman und Unternehmer Jochen Schweizer lobt die "wunderbaren Jahre" von 1995 bis 2001 mit der von ihm betriebenen Bungee-Sprunganlage. Mit Liebesschwüren dieser Art lockt der Turm-Förderverein (http://hamburgerfernsehturm.de) Unterstützer: "Wir wollen wieder auf den Fernsehturm."

Das kostet Geld, von dem auch unterm Turm nichts auf der Straße liegt. So wenig, wie dort Retter Schlange stehen. Deshalb würde der Mitte-Bezirk am liebsten jeden Retter nehmen, der dem Leerstand ein Ende macht. Doch mal sind die Investoren zu windig mit ihren Dating-Portalen im Internet, mal droht der Denkmalschutz bei futuristischen Plänen, die aus dem Spargel-Turm ein gläsernes Hotel-Raumschiff machen könnten.

Nur eins ist sicher: Bevor die Bürger wieder im Aufzug nach oben sausen können, müssen Millionen Euro her. Und mehr Geduld als in den läppischen drei Jahren, nach denen der Heinrich-Hertz-Turm - benannt nach dem Physiker - fertig gebaut war.

Das heißt: Zukunft ungeklärt. Da fällt der Blick vom Turm doch gleich zurück zur Elbphilharmonie, der Baustelle mit Hamburgs neuem Wahrzeichen. So schön, so groß und mit dem Schatten eines Fasses ohne Boden.

100 Millionen Mehr-(!)Kosten sind nach jüngsten Schätzungen diesmal drin, dazu die kalkulierten 323,5 Millionen Euro. 50 Millionen Gesamtbaukosten sollten es ursprünglich sein. Was sind da die 14 Millionen Mark, die der Fernsehturm-Gastronom 1968 ins Restaurant, die Aufzüge und die 700-Quadratmeter-Bodenstation zur Vorbereitung der Speisen steckte? Billig sind Wahrzeichen aber nirgendwo. In München hieß der Fernsehturm "Schuldenstangerl".

Hamburgs Turm und Philharmonie trennen drei Kilometer. Dazwischen viel Seelenverwandtschaft. Selbst die Turm-Förderer kommen nicht vom Musiktempel los: "Auch wenn wir die Elbphilharmonie nicht infrage stellen wollen", könne es nicht sein, für dieses Prestigeprojekt so viel auszugeben "und an anderer Stelle steht ein Wahrzeichen leer", klagen sie. Dabei könne der Turm für nur "ca. zehn Millionen Euro" wieder für alle öffnen. Vielleicht wie früher mit Kaffee und Kuchen satt? Das gab's für fünf Mark Pauschale. 21 Stücke Kuchen soll jemand mal geschafft haben. Man kann alles übertreiben.