An diesem Sonnabend feiern geschätzte 300 000 Schlagerfans auf St. Pauli, Zehntausende fahren zum Derby. Wie eine fiktive Begegnung im Fahrstuhl aussehen könnte

Weil beide nicht das erste Mal Aufzug fahren, wissen sie natürlich, dass solche Situationen entstehen können. Aber warum sie ausgerechnet hier und heute in eine derart missliche Lage geraten sind, ist ihnen ein Rätsel.

19 Stockwerke liegen auf dem Weg nach unten vor ihnen. Sie, die Derby-Besucherin aus Nienstedten, begegnet der Schlagermove - sie werden jetzt zusammen Fahrstuhl fahren. Seitdem sie sich mit einem knappen "Hallo" begrüßt haben und ein "Pling" das Schließen der Türen verkündete, herrscht Stille. Unangenehme Stille.

Es ist 13 Uhr im ausgebuchten Empire Riverside Hotel. Konstanze Seeberg-Schleudenheim kommt gerade aus der Sky-Bar "20 up", die sie mit ein paar Freundinnen für ihren sonnabendlichen Lady-Lunch gemietet hatte. Die pikante Note der Kanapees kitzelt noch ihre Geschmacksknospen, und auch der Kir Royal hinterließ wie gewohnt ein beschwingtes Prickeln. Für den nun folgenden Derby-Tag auf der Horner Rennbahn hat sie sich in ein sündhaft teures, pistazienfarbenes Kleid gezwängt, den dazugehörigen wagenradgroßen Hut verdankt sie der skandinavischen Nachwuchsdesignerin Haita Kovalainen. Vor dem Hotel wartet bereits ihr Mann, ein international anerkannter Kieferorthopäde, der sich heute für den sage-grünen Jaguar entschieden hat.

Im 19. Stock ist Sabine Buschmaier zugestiegen. Notgedrungen musste die Hessin für sich und ihre drei Freundinnen eine Juniorsuite im Designhotel buchen. Die kostengünstigeren Häuser in Hamburg waren schon belegt. Zum Frühstück gab es selbst geschmierte Schnittchen, Prosecco und Erdbeeren. Um 14 Uhr wollen sich die Freundinnen an den Landungsbrücken treffen: vorglühen für den Schlagermove.

Kritisch mustert die Zahnarztgattin ihre Mitfahrerin, wobei nicht viel Fantasie vonnöten ist, um zu erkennen, dass es sich bei ihrer Leidensgenossin um eine Vertreterin niederen Standes handelt. Schlaghose, grellgelbes Top, blonde Perücke und eine Sonnenbrille mit weißer Plastikfassung zeugen von abstoßend gewöhnlichem Stilempfinden. Die Alkoholfahne lässt auf den Konsum minderwertiger Spirituosen schließen. "Dass diese Musikbanausen auch jedes Klischee erfüllen müssen", denkt sich die gebürtige Rissenerin, die den Schlagermove (oder wie der Radau auf St. Pauli heißt) nur vom Hörensagen kennt. Sie schaut auf das Fahrstuhldisplay. Noch zwölf Etagen.

"Will die zum Karneval?", fragt sich im gleichen Moment die Steuerfachangestellte aus Hessen. Dass man in einem Edel-Etablissement Schnöseln begegnet, hatte sie befürchtet. Aber für ihren Geschmack geht das kermitfarbene Kostüm ihrer Aufzugsunbekannten eine Spur zu weit. Hamburg ist schließlich nicht Ascot. Und wie Queen Elizabeth sieht diese aufgetakelte Pseudoprinzessin nun auch nicht aus. Vermutlich trägt die arrivierte Rennbahnschnepfe auch noch einen dieser blöden Doppelnamen, weil es zum echten Adel nicht gereicht hat.

Und überhaupt: Was hieß arriviert eigentlich noch? Weil die zum Pöbeln neigende Schlageranhängerin unter Alkoholeinfluss wirklich Besseres zu tun hat, als sich um Fremdwörter zu kümmern, kontrolliert sie das aktuelle Stockwerk. Noch acht.

Na toll, jetzt kriegt Konstanze Seeberg-Schleudenheim den Ohrwurm nicht mehr aus dem Kopf. Seit zwei Stockwerken summt sie innerlich "Ein bisschen Spaß muss sein", während Roberto Blanco mit rudernden Armbewegungen durch ihre Gedanken tanzt. Üblicherweise geht sie ja nur in die Laeiszhalle, aber dieser deutsche Schlager - der hat was. Peter Alexander, Tony Marschall - das waren noch Zeiten! Und irgendwie ist dieses Schlagervolk ja auch ganz drollig. Einmal im Jahr.

Es verlangt bestimmt Mut, so einen Hut zu tragen, überlegt Sabine Buschmaier derweil. Hutmut gewissermaßen. In "Rivalen der Rennbahn" haben die Frauen auch immer so schick ausgesehen. Keine schlechte Serie.

Und der letzte Ausflug auf den Ponyhof war auch super. Mit Kai, Ursel, Ralf und den Kindern. Das hat allen Spaß gemacht. Irgendwie liegt das Glück dieser Erde, doch auf dem Rücken der Pferde. Ob die Frau ein eigenes hat? Bestimmt. Bei all dem beneidenswerten Luxus. Hach! Mit einem "Pling" öffnet sich die Fahrstuhltür, und beide Frauen gehen ihrer Wege. "Schönen Tag noch", sagt die eine. "Den wünsch ich Ihnen auch", flötet die andere.