Deutsche verzichten nur so lange auf das Frühstücksei, bis sich die Aufregung um den Lebensmittelskandal gelegt hat. Die Angst vor dem Gift ist flüchtig

Die beiden gleichen sich nun mal wie ein Ei ... ach, lassen wir das, zumal es gar nicht stimmt. Jedes Ei ist anders. Da muss man gar nicht erst das Mini-Ei der Kolibri-Art namens Bienenelfe bemühen. Das ist winziger als ein Cent-Stück. Aber die dazugehörige Vogelmama misst auch nur knapp sieben Zentimeter. Die größten Eier der Gegenwart legt der Vogel Strauß mit stolzen 15 Zentimetern Länge. Immer noch mini im Vergleich zu den Eiern der Elefantenvögel, die zu Saurierzeiten lebten und von denen es nur versteinerte Restexemplare gibt. Sie sind mindestens doppelt so groß wie ein Straußenei, fassen neun Liter Inhalt und können es gewichtsmäßig mit 190 Eiern unserer Hühner von heute aufnehmen.

Also keine Rede von "ein Ei gleicht dem anderen".

Der Spruch stimmt nicht mal bei den normierten Hühnereiern. Sie unterscheiden sich in Güteklassen (A und B), und Gewichtsnormen (M wie mittel und L für groß), und jedes Ei verrät mit seiner vorsichtig aufgetragenen Nummernfolge jede Menge Details seiner Herkunft: Wo das Huhn scharrte (im Freiland, Käfig, in der Bodenhaltung oder einem Ökobetrieb), aus welchem Land es stammt, von welchem Betrieb.

Im Schnitt isst jeder Deutsche 210 Eier im Jahr. Noch ist das Ei nicht im kulinarischen Abseits verschwunden wie andere Spezialitäten, die manche nur noch aus ihrer Kindheit kennen: Denken Sie mal an die Rinderzunge. Für ein gutes Stück dieser (Fast-) Innerei, gegart in Madeira, muss man von Hamburg ins Piemont fahren. Hierzulande gruseln sich viele: "Zunge? Ich ess doch nicht, was andere im Mund gehabt haben." Dann also lieber Eier?

Die verderben uns aktuell auch den Appetit, seit das Schreckensgift Dioxin über jeder Eierpackung schwebt.

Diese unappetitliche chemische Verkettung ist der Grund, warum der Eierverkauf in Deutschland in dieser Woche um 20 Prozent eingebrochen ist, noch heftiger als das Umsatzminus bei Schweinefleisch und Geflügel (minus zehn Prozent).

Dioxin hin, Dioxin her. Aufs Frühstücksei verzichten wir eher als auf die Hühnerkeule oder das Kotelett. Und wenn doch ein Ei in der Pfanne oder im Kocher landet, dann bevorzugt eins aus der Bio-Produktion. So schnellte der Absatz von Bio-Eiern in den letzten Tagen allein in der Bio-Supermarktkette Alnatura um 30 Prozent in die Höhe.

Doch die Bio-Händler wissen: Das Interesse an ihren Produkten lässt schnell nach, wenn sich die erste Aufregung gelegt hat. Der bayerische Lebensmittelchemiker und Fachbuchautor Udo Pollmer bestätigt, dass die Verbraucher "meist nur für 14 Tage" ihr Kaufverhalten ändern. Die Angst vor dem Gift ist flüchtig.

Und dass auch einzelne Eier mit erhöhten Dioxinwerten den Menschen nicht sofort vergiften, sagen alle Experten. Dennoch gehört das Dioxin nicht in den Dotter, wo es sich wegen des höheren Fettanteils vermehrt sammelt. Am Ende ist die Dosis entscheidend. Sonst könnten wir gleich die Finger von allem Essbaren lassen.

Die Angst vor dem Dioxin in Hühnereiern, gepaart mit dem Drang zum Bio-Eierregal, ist für die Experten besonders widersprüchlich. Denn gerade Biobetriebe sind immer wieder wegen erhöhter Dioxinwerte in die Schlagzeilen geraten. So wurden im Mai 2010 nach Dioxinfunden in Bio-Eiern Höfe in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gesperrt. Hier stammte das Dioxin aus biozertifiziertem Futtermais, der aus der Ukraine kam.

Aber es müssen nicht immer kriminelle Machenschaften sein, wie billige Futtermittelherstellung oder jetzt die offensichtlich kostensparende Beimengung von Fetten, die nur für industrielle Zwecke vorgesehen waren.

Schon 2005 waren den Aufsichtsbehörden erhöhte Dioxinwerte in Freilandeiern aufgefallen. Fachleute wundert das nicht. Denn beim Picken im Freien nehmen die Hühner Erde auf - und damit Dioxin, das sich überall in Böden findet. Woher kommen diese Rückstände? Sie sind zum Beispiel entstanden, wenn hier vor langer Zeit Unrat verbrannt wurde oder die Böden mit Klärschlamm gedüngt wurden. Dioxin entsteht bei Prozessen mit Hitze von mehr als etwa 300 Grad, wenn zusätzlich bestimmte Chlorverbindungen beteiligt sind.

Jahrzehntelang zurückliegende Ereignisse wirken so noch nach, auch weil Dioxin nur langsam abgebaut wird. Der Lebensmittelchemiker Pollmann ist überzeugt, dass man in den Böden um Hamburg heute noch die Windrichtung des Feuersturms im Zweiten Weltkrieg ablesen kann - an den Spuren des Dioxins. Er sieht das gelassen: "Das sind inzwischen normale Belastungen."