Die Kanzlerin stellt sich in Afghanistan endlich der Realität.

Es ist eine Kriegsweihnacht. Mit ihrem Besuch in Kundus und Masar-i-Scharif hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel endlich der Realität in Afghanistan gestellt und den Einsatz beim Namen genannt: Die Soldaten kämpfen wie im Krieg. Sie hätte auch sagen können, die Soldaten kämpfen in einem Krieg, aber ihr letztes Zaudern zeigt, wie zögerlich sich die deutsche Politik an das Reizwort Krieg herangearbeitet hat. Verteidigungsminister zu Guttenberg hatte als Erster mit der Legende der bewaffneten deutschen Brunnenbauer am Hindukusch aufgeräumt. Mit "kriegsähnlichen Zuständen" nahm er 2009 das K-Wort in den Mund. In ihrer Weihnachtspredigt hatte kurz darauf die damalige EKD-Ratsvorsitzende Käßmann mit der Feststellung, nichts sei gut in Afghanistan, an dem Tabu gerührt. Und Außenminister Westerwelle stuft das Geschehen inzwischen grobmotorisch als nicht internationalen bewaffneten Konflikt ein.

Völkerrechtlich mag das Wort Krieg nicht greifen, da darunter meist bewaffnete Konflikte zwischen Staaten zu verstehen sind. Doch an den Tatsachen geht diese blutarme Definition vorbei. Die Terrorbrigaden der Taliban und al-Qaida unterscheiden nicht zwischen zivilen Helfern und militärischen Kämpfern. Sie töten alle "Ungläubigen". 45 Bundeswehrsoldaten sind in Afghanistan ums Leben gekommen, davon 27 durch direkte Feindeinwirkung. Und zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat mit Oberst Klein ein deutscher Offizier einen Luftangriff befohlen, bei dem Dutzende Menschen getötet wurden. Die Deutschen, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eigentlich nur eine kurzfristige Bündnisleistung für die USA erbringen wollten, sehen sich in einen Krieg verstrickt, der militärisch kaum noch zu gewinnen ist. Zwar sind im Süden Afghanistans Erfolge zu vermelden, doch im Norden, wo die Deutschen stehen, gewinnen die Taliban an Boden. Und die korrupte Regierung in Kabul sieht geflissentlich weg.

So ist die Realität des Einsatzes, den zwei Drittel der Deutschen ablehnen, der Politik davongelaufen. Immerhin hat die Kanzlerin mit ihrer Visite in Afghanistan den Eindruck des missglückten Frontbesuchs der zu Guttenbergs aus der Vorwoche geradegerückt. Denn diese mediale Vermarktung des Bundeswehreinsatzes hatte die Risiken, denen sich die Soldaten und Soldatinnen jeden Tag ausgesetzt sehen, auf haarsträubende Weise banalisiert. Auch darum hat die Kanzlerin vor der verunsicherten Truppe von Krieg gesprochen.