Die Atomentscheidung hat einen Großkonflikt heraufbeschworen

Eines Tages wird diese Entscheidung vielleicht als tragische Fehlentscheidung der Ära Merkel in die Geschichtsbücher eingehen - der Beschluss, die Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland um rund zwölf Jahre zu verlängern. In der Sache ist der Regierung dabei nicht einmal ein Vorwurf zu machen; tatsächlich sprechen gute Gründe dafür, einige Jahre Zeit und Milliarden Euro an Steuereinnahmen für den Übergang in ein regeneratives Energiezeitalter zu gewinnen. Doch Politik findet nicht im luftleeren Raum statt. Die Laufzeitverlängerung, in der Öffentlichkeit als sinistrer "Atomdeal" wahrgenommen, kommt zur Unzeit und ist miserabel begründet. Ja, sie hat die Entfremdung von der Politik dramatisch beschleunigt.

So bedient der Beschluss festsitzende Vorurteile, Politik sei käuflich. Das ist sie zwar nicht. Aber die Regierung, die zuvor mit der Mehrwertsteuerbefreiung für Hoteliers ihren ersten Fehler begangen hatte, hat eben nicht nur Laufzeiten verlängert, sondern auch den Herzenswunsch der Energiekonzerne erfüllt. Zudem bricht die schwarz-gelbe Regierung einen Waffenstillstand. Jahrzehntelang hatten sich Atomkraftgegner und Staat in Brokdorf, Whyl und Wackersdorf Schlachten um die Nutzung der Kernenergie geliefert. Mit dem rot-grünen Atomkonsens wurde dieser Konflikt befriedet. Der Widerstand erlahmte, auch weil die Abschaltung von Pannenreaktoren wie Krümmel in greifbare Nähe rückte.

Nun hat Schwarz-Gelb den gesellschaftlichen Großkonflikt vergangener Tage wieder angeheizt - ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, zu dem eine (Un-)Kultur des Dagegenseins um sich greift. Stuttgart 21 war nur das Wetterleuchten eines mitunter eindimensionalen Volkszorns gegen "die da oben". Der Atomstreit könnte zum Gewitter werden. Im Protest dieser Tage gegen die Castoren geht es nicht nur um das Endlager in Gorleben, es geht um Gorleben 21, es geht gegen Atomkraft im Allgemeinen, die Regierung in Berlin und um eine neue Lust am Widerstand. Die Generation Facebook hat sich mit Alt-68ern verbündet, um ihr diffuses Gefühl der Ohnmacht in Macht zu verwandeln. Fast über Nacht polarisiert sich die deutsche Gesellschaft des Konsenses und hebt Schützengräben aus. Das Problem der Regierung Merkel besteht darin, sich durch die Laufzeitverlängerung selbst tief eingegraben zu haben.